Alle elf Sekunden hat im vergangenen Jahr ein Auto des Roten Kreuzes einen Einsatz begonnen. Ein Jahr davor waren es zwar in etwa gleich viele, 2020 kam aber ein völlig neues Einsatzgebiet dazu. Die Sanitäterinnen und Sanitäter haben rund 15 Millionen Corona-Tests abgenommen. Mit Rettungskommandanten Gerry Foitik kam dabei – vor allem in den ersten Monaten der Pandemie – der Mahner der Nation aus den Reihen des Roten Kreuzes. Kurz gesagt, die Einsatzorganisation war in der Pandemie bisher im Dauereinsatz, zu dem sie auch gesetzlich verpflichtet ist. Im Rotkreuzgesetz ist festgeschrieben, dass die Behörden im humanitären Bereich unterstützt werden müssen. Corona-Tests sind dabei wenig überraschend Teil davon.

Nach eineinhalb Jahren Pandemie hat das Rote Kreuz diese Woche Bilanz gezogen und seine Lehren für künftige Krisen formuliert. Eine davon ist die Frage der Zuständigkeiten und gesetzlichen Regelungen. Das Internationale Rote Kreuz (IFRC) hat kürzlich die Gesetze aus 36 Ländern im Hinblick auf eine Gesundheitskrise untersucht. Österreich war zwar keines davon, einige der Ergebnisse lassen sich aber auch auf das Pandemiemanagement hierzulande übertragen. Die Studienautoren kommen etwa zum Schluss, dass hier vielerorts alte Gesetze zur Anwendung kamen. Auf das österreichische Epidemiegesetz, das seine Wurzeln in der Monarchie hat, wurde bekanntlich besonders oft zurückgegriffen.

"Vielzahl von Zuständigkeiten" als Problem

Zusätzlich seien Probleme in der Abstimmung zwischen einzelnen Behörden oder zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Organisationen aufgetreten. Umgelegt auf Österreich beschreibt Michael Opriesnig, Generalsekretär des Roten Kreuzes, die Lage so: „Es gibt eine Vielzahl an Gesetzen und Zuständigkeiten, die einer kohärenten, raschen Reaktion im Wege stehen. Der Föderalismus mit der Kompetenz der Länder in Gesundheitsfragen verkompliziert die Dinge.“ Es brauche ein Bundesgesetz für das staatliche Krisenmanagement, in dem Zuständigkeiten klar definiert werden müssen, so Opriesnig.

Für Barbara Juen, Leiterin der Psychosozialen Dienste des Roten Kreuzes, ist das Land zu wenig auf die psychischen Spätfolgen der Pandemie vorbereitet. Unterstützungsangebote seien überlastet und Armut würde steigen: „Da braucht es einen besseren Zugang zu Psychologie und Psychotherapie, aber vor allem auch mehr niederschwellige Angebote.“ Das Rote Kreuz selbst biete etwa eine Whatsapp-Beratung für Jugendliche an.

Impfkampagne "eingeschlafen"

Auch in Sachen Kommunikation herrsche Nachholbedarf. Opriesnig kritisiert etwa das Einschlafen der Impfkampagne über den Sommer, nachdem diese vom Roten Kreuz zur Regierung wanderte. Zu einer guten öffentlichen Kommunikation gehöre aber auch „ein vernünftiger Umgang mit Fakten und eine gute Bereitschaft zum Dialog und zur Debatte“, sagt der Generalsekretär.

Klar sei für Opriesnig dennoch: „Die Corona-Krise wird nicht die letzte Herausforderung gewesen sein, die auf Österreich zukommt.“ Welche das sein könnten, versucht jährlich das Bundesheer in seiner Sicherheitspolitischen Jahresvorschau einzuschätzen. Darin werden verschiedene Bedrohungsszenarien nach ihrer Wahrscheinlichkeit und ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft sortiert dargestellt. 2020 wurden beispielsweise eine Pandemie und ein Terroranschlag in Österreich als „wahrscheinlich“ eingestuft. Beides ist eingetreten. In der aktuellen Einschätzung sind etwa ein Blackout oder eine Naturkatastrophe auf dieser Ebene.

„Gerade bei der Vorbereitung auf Stromausfälle kann jede und jeder Einzelne etwas tun“, sagt Gerald Schöpfer, Präsident des Roten Kreuzes. Der Österreichische Zivilschutzverband empfiehlt etwa, sich sieben Tage lang autark versorgen zu können. Dazu gehören etwa Lebensmittel- und Wasservorräte, Beleuchtung, Heizmöglichkeiten und Bargeld. Der Verband rät auch zum Kauf eines batteriebetriebenen Radios.

Afghanistan: "Unmenschliche" Debatte

Dabei kommt meist der Katastrophenfonds ins Spiel. Dieser ist pro Jahr mit rund 400 Millionen Euro gefüllt. 2019 wurden fast 80 Prozent davon für vorbeugende Maßnahmen verwendet. Der Großteil davon wird in Hochwasser- und Lawinenschutz investiert, etwa 40 Millionen in Einsatzgeräte der Feuerwehren. Generalsekretär Opriesnig wünscht sich daraus auch Mittel für das Rote Kreuz: „Organisationen, die bei Katastrophen helfen und dazu verpflichtet sind, sollen präventiv fünf Prozent des Fonds abrufen können“, fordert er.

Schließlich bleibt noch die internationale Krisenhilfe. Auch diese wird in Zukunft nicht verschwinden. Sei es durch Naturkatastrophen wie in Haiti oder durch Konflikte wie in Afghanistan: „Österreich kann hier nicht sagen, das geht uns nichts an“, sagt Präsident Schöpfer. Das Rote Kreuz fordert die Regierung dazu auf, einen entsprechenden Fonds des IFRC zu unterstützen. „Stattdessen weiter über Abschiebungen nach Afghanistan nachzudenken, ist unmöglich, um nicht zu sagen unmenschlich“, so Schöpfer.