Frau Professor, Sie schreiben in Ihrem Buch „Eine kurze“ Geschichte der Zukunft, auch wenn nicht undenkbar sei, dass die globale Zivilisation zusammenbricht, besteht doch die Möglichkeit einer „sanften Landung“. Hat die Menschheit eine Zukunft?
ILLE GEBESHUBER: Ja, ich bin ja Optimistin. Sonst würde es sich ja nicht einmal auszahlen, dass wir hier arbeiten und uns engagieren. Generell denke ich, die Frage ist schwierig – brechen wir es auf drei verschiedene Zukunftsebenen herunter: eine in hundert Jahren, eine in tausend, eine in zehntausend Jahren.
Gerne. Wie sieht es denn in hundert Jahren aus?
In hundert Jahren werden wir doch um einiges klüger sein als heute. Wir werden uns neu erfinden müssen in vielen Bereichen. Ich sehe da gar nicht den Klimawandel als größte Gefahr, sondern den Zerfall etablierter Strukturen. Ganz besonders die sogenannten Failing Nations. In Summe ist auf jeden Fall wichtig, dass die Menschheit bescheidener werden muss.
Und in tausend Jahren?
Die Gesellschaft und die Individuen werden sich so stark verändert haben, dass wir heute kaum eine Beziehung zu diesen neuen Menschen aufbauen könnten. Der Unterschied, wenn man tausend Jahre in die Zukunft gehen könnte und tausend Jahre in die Vergangenheit, wird enorm sein.
Warum wird das Verstehen der Menschen der Zukunft so schwer? Besonders wegen der künstlichen Intelligenz, die einfach zusehends der Begleiter des Menschen werden wird. Und wegen der digitalen Welt. Was die Menschen dann in digitalen Universen erleben können, kann man aus heutiger Sicht kaum nachvollziehen. Dort wird jeder Kaiser sein können – oder ein Star.
Und in zehntausend Jahren?
Ich denke, was wir heute als Menschen definieren, wird in dieser Form nicht mehr existieren – weil wir ausgestorben sind oder uns zu etwas völlig anderem entwickelt haben.
Unvorhersehbarkeit ist ein gutes Stichwort. In Ihrem Buch zeichnen Sie Zukunftsszenarien – teilweise recht dystopisch, wenn Sie von Massen schreiben, die nur noch in digitalen Welten leben und in der Realität in Miniwohneinheiten vegetieren. Wie kommen Sie zu solchen Prognosen?
Ich arbeite schon lange im Bereich der Bionik, im technischen Lernen von biologischen Systemen – ein breites, interdisziplinäres Feld, in dem man lernt, sich von vielen Bereichen inspirieren zu lassen und ganzheitlich zu analysieren. Dadurch ist es mir möglich, derartige Szenarien zu zeichnen.
Wir hatten seit Jahren Experten, die vor Pandemien als hohem Risiko warnten – und nicht einmal dafür waren wir als Gesellschaft vorbereitet. Wie lernfähig sind wir als Zivilisation überhaupt?
Je mehr Leute es gibt, desto mehr zwischenmenschliche Kontakte gibt es – und desto mehr Gelegenheit, dass sich gefährliche Erreger entwickeln können und sich in Form von Krankheiten ausbreiten. Wenn sie überdurchschnittlich erfolgreich sind, kommt es zu einer Pandemie. Wenn man sich große, riesige Zivilisationen von Milliarden Wesen anschaut, Menschen oder andere, gilt: „Nach der Pandemie ist vor der Pandemie.“ Warnen ist eine Sache, aber Bekämpfen und Eingrenzen sind schwieriger: Die Natur ist uns gegenüber eindeutig im Vorteil, weil sie unendlich viele Möglichkeiten hat, die Erreger zu variieren – wir können nur reagieren. Und Technologie und Komplexität sind hier nur begrenzt wirkungsvoll, denn je komplexer wir werden, desto komplexer wird auch das, wogegen wir kämpfen.
Sie sagen, Menschen verändern sich nicht durch solche Krisen. Ist das nicht traurig?
Wir werden nicht viel lernen, weil wir Krisen entweder schnell vergessen oder verdrängen. Aber ein paar Details merkt man schon: Das Verhalten hat sich ein bisschen verändert, was Masken und Bussi-Bussi angeht oder Distanzarbeit/-lehre.
Welche Technologien werden unser Leben in den nächsten Jahrzehnten am stärksten verändern?
Obwohl ich an einer technischen Uni sitze, glaube ich, dass wir Technologien überschätzen und die Menschen unterschätzen. Wir haben jetzt ein Zeitalter hinter uns, in dem Technologien exponentiell gewachsen sind – aber das ist im Abflauen.
Es gibt bei vielen Produkten nur noch inkrementelle Entwicklungen, keine sprunghaften Innovationen mehr. Ich glaube, dass sich Zeitalter der Innovation im technischen und im geistigen Bereich abwechseln. Und jetzt, wo sich die technische Entwicklung verlangsamt, werden wir im geistigen Bereich eine neue Art zu denken, also geistige Innovationen, erleben.
Sind künstliche Intelligenz, autonome Fahrzeuge und Androiden nicht technologische Umbrüche?
Nur noch inkrementell, da wird nichts Großes mehr kommen – das sind bloße Weiterentwicklungen. Jetzt ist Zeit für das geistige Blühen. Überspitzt: Wir warten jetzt auf die Beatles der Philosophie, die auf diesem Sektor eine Revolution bringen. Erst wenn diese geistige Revolution erfolgreich war, können wir uns wieder auf wirklich bahnbrechende technische Innovationen freuen.
Wie können wir uns denn politisch für die nächsten Jahrzehnte aufstellen?
Wie bei der Pandemie können wir da nur reagieren. Das Drama ist, dass alles, was über den Karrierehorizont einzelner Politiker hinausgeht, nicht ernst genommen wird.
Ihrem Buch zufolge steuert die Menschheit auf eine massive Krise hin. Können wir das auflösen oder muss man das hinnehmen?
Ich fände es schön, wenn man Politikern für ihre Amtszeit erfüllbare Ziele vorschreibt bzw. diese den Wählern ein konkretes Konzept mit Zielen für ihre Amtszeit vorlegen müssten. Und wenn sie diese Ziele nicht erfüllen, werden sie nicht wiedergewählt. Im Moment verteilen viele wunderschöne Prospekte, wie das Leben in einigen Jahrzehnten ausschauen soll – aber wie der Weg dorthin aussehen kann, darauf sollten wir Wähler viel mehr Wert legen.
Aber das steht doch in den Regierungsprogrammen.
Dort stehen nur die Träume. Wie genau und bis wann das erreicht werden soll, ist diffus. Zudem ist nicht klar, was die Konsequenzen für die Vielversprecher sind, wenn das nicht erfüllt wird. Ich war gerade bei einer Konferenz zu den zwanzig Biodiversitätszielen der UNO – die galten bis 2020, erreicht wurde kein einziges davon. Konsequenzen: null.
Wie wollen Sie das beheben?
Schwierig. Ich habe den Eindruck, dass es für die Regierenden leichter wird, sich von den Wählerinnen und Wählern nicht in der Arbeit stören zu lassen. Allein dadurch, dass die Massenmedien individuellen kleineren Öffentlichkeiten weichen, die auf den Einzelnen zugeschnitten sind, nähern auch wir uns dem amerikanischen System mit zwei Parteien, die sich in Wirklichkeit – bei allen Kontroversen – kaum mehr unterscheiden. Das Prinzip heißt Machterhalt und nicht mehr den Menschen dienen. Als Konsequenz werden die politisch marginalisierten Menschen in die digitalen Welten ausweichen. Ob das jetzt die ideale Lösung oder ein Fluch ist, kann man diskutieren. Aber die ideale Gartenidylle wird selbst mit einer optimalen Politik mit immer mehr Menschen und schwindenden Ressourcen nicht umsetzbar sein. Zumindest nicht in der realen Welt.
Das klingt doch fürchterlich! Haben Sie zum Schluss nicht noch einen positiven Gedanken?
Die Menschheit hat sich schon so oft neu erfunden. Wir werden es auch diesmal schaffen und aus all diesen Entwicklungen gestärkt hervorgehen. Aber auf dem Weg dorthin müssen wir das kurzfristige Maximierungsdenken ablegen und uns auf eine langfristige, nachhaltige Lebensweise einstellen. Das wird auch bedeuten, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, nicht Geld oder Idole.
Eine fundamentale Änderung der menschlichen Natur?
Nicht unbedingt. Es gibt Völker, die seit Ewigkeiten schon so denken und denen so viel an Hass, Neid und Gier erspart blieb. Der sogenannte „Westen“ hat sich in einer solchen Lebensweise aufgestellt und dabei wohl mehr Schaden angerichtet als langfristigen Nutzen davon gezogen. Aber das Umdenken hat schon begonnen, und das stimmt mich positiv.
Georg Renner