Die Titelsucht der Österreicher ist notorisch. Die Sehnsucht nach dem Doktortitel wurde jetzt Arbeitsministerin Christine Aschbacher zum Verhängnis. Was läuft falsch in der Wissenschaft?
1 Was motiviert Studierende, sich den Abschluss zu erschleichen?
„Der Erfolgsdruck der Studierenden ist groß. Die Versuchung, eine Abkürzung zu nehmen, ist zutiefst menschlich“, sagt Kurt Koleznik, Geschäftsführer der Fachhochschul-Konferenz. „Augen auf und wachsam bleiben. Das ist wie im Sport: Doping, ist auch unredlich, trotzdem passiert’s.“
2 Was bringt Begutachter dazu, die Augen zuzudrücken?
Weniger qualifizierte Professoren gewinnen an Publikum und damit Legitimation. Weniger gefragte Studienrichtungen gewinnen an Attraktivität. Die Pro-Kopf-Finanzierung etwa an den Fachhochschulen erhöht den Druck.
3 Was wird getan, um Plagiate zu verhindern?
Rund 55.000 ordentliche Studienabschlüsse gibt es in Österreich jährlich. Bei Abschlussarbeiten ist ein elektronischer Plagiats-Check Routine. Die Betreuer müssen prüfen, ob korrekt zitiert wurde. In Bezug auf wissenschaftliche Arbeiten an anerkannten ausländischen Unis gibt es Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung.
4 Was droht den Beteiligten, wenn ein Plagiat nachgewiesen wird?
Studierenden droht ein Nicht genügend, die Sperre fürs Studium (bis zu einem Jahr), im Nachhinein der Entzug des Titels. An der größten Uni des Landes, in Wien, wurden in den letzten 15 Jahren 50 Verfahren deswegen eingeleitet, in 26 Fällen kam es zur Aberkennung. Gewerbliche Ghostwriter werden durch das neue Universitätsgesetz mit Geldstrafe bedroht. Elisabeth Fiorioli, Generalsekretärin der Universitätenkonferenz, wünscht sich auch Strafen für Ghostwriter, die unentgeltlich arbeiten.
5 Sollten auch Betreuer bestraft werden?
Uni-Rektor Martin Polaschek fordert Konsequenzen für die „schwarzen Schafe“ unter den Lehrenden. „Diese werden durch das Dienstrecht geschützt.“ An den FHs ist dies anders, nur wenige Beschäftigte haben dort einen Kündigungsschutz, betont Koleznik.
6 Wie könnte man die Kontrolle verbessern?
Ein Zweitbegutachter bei Diplomarbeiten, zwei Außenstehende zusätzlich zum Betreuer bei Dissertationen wären eine Möglichkeit – für Polaschek aber eine Kapazitätsfrage. Er plädiert vor allem für maximale Transparenz. Sämtliche Arbeiten, inklusive Angabe von Begutachtern und Noten, sollten elektronisch für jedermann einsehbar sein. Einzelne Institute machten das schon bisher, aber dazu bedürfe es derzeit aus Datenschutz- und Urheberrechtsgründen der Zustimmung des Verfassers. Der elektronische Zugang zu allen Arbeiten ist auch für Koleznik (FH-Konferenz) und Fiorioli (Uni-Konferenz) ein diskussionswürdiger Vorschlag.
7 Kann man sich einen Titel kaufen?
Polaschek sagt: „Es gibt ausländische Pseudo-Privat-Universitäten, die akademische Grade verkaufen. Im Netz ist alles möglich.“ Fiorioli ergänzt: Für den Standort Österreich gilt Paragraf 27 des Hochschulqualitätssicherungsgesetzes, mit Prüfung und Registrierung.“ Dies halte ausländische Dumping-Anbieter fern. Die TU Bratislava wird von Uni-Experten indes einhellig als gute öffentliche Universität beschrieben, die bisher nicht negativ aufgefallen sei. Dissertationskooperationen zwischen FHs und Unis seien normal, sie würden auch vom Bund gefördert, sagt Koleznik.
8 Wie geht es weiter mit Aschbacher?
Die FH Wiener Neustadt (Magister 2006) prüft und koordiniert sich dabei mit der „Agentur für wissenschaftliche Integrität“. Auch die TU Bratislava (Doktorat 2020) prüft. Wenn der Magister weg ist, ist auch der Doktortitel weg.
Claudia Gigler