Jede neue Krise bringt auch eine eigene Sprache mit sich. Und kaum je zuvor war das besser zu sehen als in der Coronazeit, die Österreich und seine Politik seit Anfang März in ihren Klauen hält.

62 Pressekonferenzen hat die türkis-grüne Bundesregierung seit Beginn der Krise im Bundeskanzleramt abgehalten, dazu unzählige Interviews gegeben, Statements auf ihren Social-Media-Accounts verbreitet. Auf diesen Bühnen hat sich, getrieben von Experten, Beratern, aber auch PR-Leuten, ein ganz eigenes Vokabular, eine technokratische Krisensprache verfestigt, voll mit Begriffen, die noch vor wenigen Wochen noch kaum jemandem geläufig waren. „Verdachtsfälle isolieren, Glutnester lokalisieren, Umgebungsuntersuchung. Was ist das für eine Sprache? Hört die wieder auf, wenn die Krise vorbei ist?“, fragt sich Publizist und Historiker Peter Huemer diese Woche in der „Presse“.

Die Antwort kennt heute noch niemand – möglich, dass die Krisensprache mit ihrem Ende auch wieder verschwindet. Bis dahin: ein kleiner Überblick über die Krisen-Vokabel.


Es ist eine Phrase, die der Bundeskanzler persönlich unters Volk gebracht hat: die „neue Normalität“. Das ist die Zeit zwischen der Aufhebung der meisten Beschränkungen und der erhofften Erlösung durch Impfung oder sichere Behandlung in vielen, vielen Monaten. Eine Zeit, in der unsere Gesellschaft vieles lernen müsse, so Sebastian Kurz (ÖVP): Abstand halten, Masken tragen und verzichten auf viele Veranstaltungen und Treffen, das ist die „neue Normalität“ bis auf Weiteres.


Die Coronakrise bringt – dem ständigen Vergleich mit anderen Staaten geschuldet, die vor denselben Herausforderungen stehen – eine Unzahl von Anglizismen mit sich, aus dem Englischen entlehnte Begriffe. Für manche mag es keine adäquate Übersetzung geben, bei manchen schwingt aber auch mit, dass man das eben überall so praktiziere – und es daher eine gute Idee sei. Ein besonderes Exemplar unter diesen Worten: „Social Distancing“, also die neue Angewohnheit, als Gesellschaft auf Distanz zu gehen.


Ein relativ neuer Eintrag in unserem Lexikon. Die „zweite Welle“ ist das Schreckensszenario, das droht, wenn wir in den kommenden Monaten der „neuen Normalität“ nachlässig werden sollten und sich das Virus abermals ausbreitet. Dann droht im besseren Fall ein neuerliches Herunterfahren des Landes, im schlechteren Tausende Tote. Alles, wie gesagt, nur dann nicht, wenn die Österreicher sich weiterhin anpassen. „Es ist wichtig, dass es zwischen diesen beiden Szenarien praktisch keine dritte Möglichkeit gibt“, steht in der Begründung zu einem Gesetzesvorschlag der Koalition.


Besonders die FPÖ hat gerade begonnen, die aktuellen Maßnahmen als völlig überzogen, die von der Regierung gezeichneten Szenarien als Schreckgespenster zu bezeichnen, um die Bevölkerung gefügig zu halten. „Die ,neue Normalität‘ ist nichts anderes als ein anderer Begriff für Ausnahmezustand“, meint Herbert Kickl.


Hat mittlerweile wieder historischen Charakter, denn mit der gemeinsamen Linie der Parlamentsparteien, alle Coronamaßnahmen einstimmig mitzutragen, ist es auch schon wieder vorbei. Ursprünglich kommt der Begriff aus den militärischen Formationen des 18. Jahrhunderts, als Soldaten eng Schulter an Schulter marschierten.


Es gebe nur vier Gründe, das Haus zu verlassen, erklärte die Regierungsspitze in den vergangenen Wochen gebetsmühlenartig. Das mag dem Sinn nach so gedacht gewesen sein, aber die Verordnung des Gesundheitsministers enthält von Anfang an fünf Ausnahmen für die allgemeine Ausgangsbeschränkung – darunter eine, die an keinen Grund gebunden ist, solange man Abstand hält.


„Hammer und Tanz“ – es war kein Virologe, kein Ökonom, kein Public-Health-Experte, der der Strategie ihren Namen gegeben hat, die die meisten Staaten nun im Kampf gegen das Virus verfolgen – sondern der amerikanische Autor und Unternehmer Tomás Pueyo. Sein Aufsatz mit ebendiesem Titel ging „viral“ – darin beschreibt er, wie Gesellschaften dem Virus zuerst durch drakonische Einschränkungen Einhalt gebieten (der „Hammer“) und dann vorsichtig wieder öffnen sollen (der „Tanz“).


Wahrscheinlich die wichtigste Maßzahl, an der sich die Regierung die vergangenen Tage orientiert. Sie beschreibt, ob ein Infizierter im Schnitt mehr als eine weitere Person ansteckt (dann verbreitet sich die Krankheit schnell wieder explosionsartig) oder weniger: In dem Fall geht der Trend Richtung Aussterben des Virus.


Zeitvertreib besonders verantwortungsloser Gesellen, die trotz Ausgangssperren nicht auf Treffen verzichten wollen. Allerdings: Weil es mehr als die berühmten „vier Gründe“ (siehe dort) gibt, fehlte der Polizei die rechtliche Handhabe, abseits vorgeschobener Lärmbelästigungs-Vorwürfe etwas gegen solche Partys zu unternehmen. Was vor zwei Wochen im kurzlebigen „Oster-Erlass“ mündete, der erst recht für Verwirrung sorgte.


Ein wenig still geworden ist es um die Phrase, die uns in der Frühzeit der Krise mit dem Konzept exponentiellen Wachstums vertraut gemacht hat: Gelinge es nicht, die Neuinfektionen auszubremsen, steige die Zahl Infizierter – die Kurve – so steil, dass das Gesundheitssystem bald überfordert sein werde. Daher galt es, diesen Anstieg so zu drücken („flatten the curve“), dass die Kapazität der Spitäler ausreichte.


Eine Phrase, die ein heißer Anwärter auf die Auszeichnung zum Technokraten-Terminus des Jahres ist: Sie suggeriert, dass man eine Gesellschaft, die Wirtschaft, ja, die ganze Republik praktisch auf Knopfdruck in den Ruhemodus bzw. stufenweise wieder auf Vollbetrieb umschalten könnte. Dass damit aber auch Kollateralschäden verbunden sind, etwa was Wirtschaft und Arbeitsplätze angeht, wenn ein Staat ein paar Herzschläge auslässt, verschwindet in der Formulierung.


Wer sich nicht an die verordneten Einschränkungen des öffentlichen Lebens hält, gefährde Leben, erklärte Innenminister Karl Nehammer. Harte Worte, denen ein ebenso harter Kurs der ihm unterstellten Polizei folgte – von Strafbescheiden über mehrere Hundert Euro fürs Parkbanksitzen bis zu Warnschüssen gegen mutmaßliche Corona-Sünder.


Siehe auch: Schulterschluss. Am Anfang war das „Team Österreich“, dem jeder angehöre, der durch Zuhausebleiben Leben rette, Teil des Zuckerbrot-und-Peitsche-Kurses der Regierung: Lob und Teammitgliedschaft für die Braven, Strafen für Lebensgefährder. In den vergangenen Wochen praktisch aus der Krisenrhetorik verschwunden.


Ein schönes, biblisches Motiv: Ausgerechnet nach Ostern soll das schrittweise Hochfahren des öffentlichen Lebens in Österreich wieder beginnen, erklärte Kurz von Anfang der Einschränkungen an. Wohl auch, weil die Österreicher ihre Feiertage lieben, sollen die nächsten Öffnungsschritte „ab 1. Mai“ (der heuer auf einen Freitag fällt) und „ab 15. Mai“(„Österreich ist frei!“) erfolgen.


Die sympathische Art zu sagen, „das wird noch sehr, sehr lange dauern“, ist ein lohnendes Sprachbild: Wer würde denn nicht gern die Ausdauer haben, einen Marathon durchzuhalten? Wenn man das in Verbindung mit „Wir schaffen das“-Parolen hört, ist man gleich noch einmal extra motiviert – für die neue Normalität.