Das Regierungsprogramm liegt vor und ich lege dafür die Unterlagen für die Vorbereitung meiner Vorlesung „Klimasystem der Erde und Klimawandel“ für ein paar Stunden auf die Seite. Um die hundert Studierenden werden nächste Woche vier mal fünf Stunden gemeinsam mit mir tief in das Thema eintauchen – und zugleich beeindruckt und bestürzt sein, wie viel und wie klar wir mittlerweile über den Klimawandel Bescheid wissen. Und wie verantwortungslos wenig bisher für den Klimaschutz gerade auch in Österreich passiert ist: Rund 81 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente werden unsere Treibhausgasemissionen 2019 betragen, vor drei Jahrzehnten (1990) waren es rund 80 Millionen, womit wir unter den fünf Letzten der EU-Staaten liegen.

In den Tagen der beginnenden Koalitionsverhandlungen im November 2019 hatte ich bei einer Pressekonferenz daher, bezogen auf den bisher grob missglückten Nationalen Energie- und Klimaplan (NEKP), als Vertreter der Wissenschaft im Nationalen Klimaschutzkomitee und Initiator des Referenz-NEKP der Wissenschaft, von Klimaschutzlähmung und dem Überschreiten einer roten Linie der politischen Verantwortungslosigkeit gesprochen. Und in meiner Stellungnahme zum NEKP an das Komitee festgestellt: Während zu hoffen ist, dass diese politische Lähmung durch die zukünftige Bundesregierung gelöst und überwunden werden kann, wurde 2018 und 2019 klar sichtbar, dass es im staatspolitischen Führungsbereich entscheidend darauf ankommt, dass die Leitung der Bundesregierung starke politische Leadership für die notwendigen tief greifenden Maßnahmen einer Sozial-, Wirtschafts- und Umweltpolitik im Einklang mit den Pariser Klimazielen einbringt.

Last und Mut

Kein Wunder also, dass mir der neue regierungsprogrammatische Titel „Aus Verantwortung für Österreich“ auf der Titelseite des Programms bereits ganz besonders ins Auge springt, während ich auch den gerade noch rechtzeitig vor Jahresende zusammen mit einem internationalen Team an eine Fachzeitschrift gesendeten Artikel „Energieungleichgewicht der Erde: wo geht die Energie hin?“ zur Seite räume. Wie unsere weltweiten satellitengestützten Klimamessdaten zeigen – und ich habe gemeinsam mit meinem Wegener Center Team die Klimatrends in der Atmosphäre dafür berechnet –, hat dieses Energieungleichgewicht in den letzten 25 Jahren zu einer in so kurzer Zeit in der Klimageschichte beispiellosen Ansammlung von riesigen Mengen an Wärmeenergie im Klimasystem geführt: pro Jahr um das rund Zwanzigfache des jährlichen Weltenergiebedarfs.

Das wäre ohne die menschengemachten Treibhausgasemissionen physikalisch unmöglich. Und wenn mir die Folgen, wie jetzt etwa die verheerenden Brände in Australien und viele Dutzend weitere bedrohliche Auswirkungen, in den Sinn kommen, spüre ich die Last, aber auch das Mut Gebende des Privilegs, aus eigener Arbeit persönlicher Zeuge des Klimawandels zu sein. Und die Verantwortung aus dem Wissen, dass der Pariser Klimazielweg zur Bewältigung unerlässlich notwendig ist. Was mich endgültig in das Regierungsprogramm und die Verantwortung der neuen Regierenden vertiefen lässt.

Begrüßenswerte Ziele

Es ist von den Zielsetzungen und vom Anspruch her im Bereich Klimaschutz das bei Weitem ambitionierteste Programm, das eine österreichische Regierung je vorgelegt hat. Von der Präambel in der Kurzfassung des Programms bis hin zur ausführlichen Darstellung im Kapitel „Klimaschutz, Infrastruktur, Umwelt und Landwirtschaft“ werden entscheidende Zielsetzungen und Leitplanken ausgelegt: „Paris-Pfad einschlagen mit wissenschaftsbasierter Klimapolitik, mit einem Paris-kompatiblen CO2-Budget und Reduktionspfaden, um bis spätestens 2040 Klimaneutralität in Österreich zu erreichen“; „Konsequentes Eintreten für die Anpassung der Zielsetzung der EU bis 2030 und 2050 im Hinblick auf die Pariser Ziele ... Daher wird die Anpassung der EU-Klimaziele, wie es der Green Deal der EU-Kommission vorsieht, unterstützt“. Damit sind mindestens 50 Prozent und angestrebte 55 Prozent Emissionsabbau bis 2030 gegenüber 1990 gemeint. „Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Reduktionspfaden bis 2040 und verbindlichen Zwischenzielen bis 2030 ... unmittelbare Nachbesserung und Konkretisierung des NEKP“; und über Dutzende Seiten viele begrüßenswerte und erfolgsdienliche Ziele mehr.

Dazu kommt die Schaffung der aus Sicht der Transformationsforschung institutionell für gelingenden Klimaschutz sehr hilfreichen Aufstellung, die Agenden für Klimaschutz, Umweltschutz, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie in einem Ministerium (und bei einer glaubwürdig mit Verstand und Herz an Fortschritten interessierten Ministerin) zu vereinen. In Summe also in dieser Hinsicht ein großer „Möglichkeitsraum“ für ein tatsächliches Umschwenken beim Klimaschutz für Österreich in den nächsten Jahren – von der Gruppe der Klimaschutz-Letzten unter den EU-Staaten in die Gruppe der Vorreiter, was den Emissionsabbau der kommenden Jahre bis 2030 betreffen wird.

Klimaschutz als "Herzstück"

Apropos kommende Jahre, das bringt uns zurück von der „hohen Programmatik“ auf den Boden der Realität: Die Arbeit der Regierung beginnt erst. Das angepeilte und auch unerlässlich notwendige Klimaschutzgesetz mit „mindestens 50 Prozent und angestrebten 55 Prozent Emissionsabbau bis 2030“ bedeutet real, dass Österreichs jährliche Emissionen nun innerhalb eines Jahrzehnts von rund 80 Millionen Tonnen auf rund 40 Millionen Tonnen absinken müssen; das sind im Schnitt 4 Millionen Tonnen Abbau pro Jahr. Beispiellos starke jährliche Änderungen, die es von 1990 bis 2019 von keinem einzigen Jahr auf das nächste je gegeben hat. Was zeigt, wie tief greifend diese aus Verantwortung für Österreichs Beitrag zum Pariser Klimazielweg nötige Umsetzung angegangen werden muss.

Insgesamt entscheidend wird daher ein kleiner Punkt auf Seite 105 des Programms werden: „Die gesamte Bundesregierung übernimmt Verantwortung für den Klimaschutz und der Klimaschutzplan wird durch ein Klimakabinett umgesetzt.“ Nach allen mir persönlich und aus der wissenschaftlichen Politikanalyse vorliegenden Informationen heißt das in der Praxis: Bundeskanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel tragen die wichtigste Verantwortung. Der Erfolg der neuen Klimaschutzpläne wird mit ihrem ehrlichen Mit-Engagement stehen oder fallen. Die Fachminister von Grün stehen bereit, jene von Türkis würden folgen.

Im Kontext der Regierung Türkis-Blau hatte ich mehrfach das fehlende staatsmännische Format und den Willen des Kanzlers für Klimaschutzerfolg öffentlich kritisiert – wird Kurz in der neuen Konstellation nun diese Verantwortung für Österreich übernehmen? Niemand kann das derzeit wissen, möglicherweise weiß er selber es auch noch nicht. Sehr geehrter Herr Kurz, da unsere Zukunft auf dem Spiel steht: Bitte machen Sie auch Klimaschutz zu Ihrem „Herzstück“ und tun Sie es!