9. Juli. Manche nennen es Masochismus, ich nenne es eine kleine Selbsterfahrungsübung. Also heute am so genannten Stichtag, 82 Tage vor der Nationalratswahl, mit einer Wahlkampfbeobachtung zu beginnen und 82 Tage lang Einträge hier reinzuschreiben. Einen Gedanken, ein Gespräch, eine Recherche, einen Termin, was auch immer. Es wird ein langer, harter Sommer.
Aber zumindest auch für die Parteien. Für sie gilt ab dem heutigen Tag ja die Wahlkampfkostenobergrenze von sieben Millionen Euro, an die manche sich bisher bekanntermaßen nicht so ganz gehalten haben (Vorsicht, Witz) – wer diesmal die Kostengrenze überschreitet, muss mit schärferen Strafen rechnen. Praktisch, wenn man den Wahlkampf, der natürlich nicht Wahlkampf genannt wurde, elegant vor dem heutigen Stichtag anlaufen ließ, weil die Kosten dann nicht zu den sieben Millionen zählen. Und wer wie ich zum Beispiel die letzten Tage durch die steirische Weinstraße kurvte, sah: Einer ist am Land bereits gut vertreten, zumindest am Plakatständer. Kaum eine Gemeinde, in der nicht Sebastian „Unser Weg hat erst begonnen“ Kurz an der Hauptstraße über die Vorbeifahrenden wacht. Der Kanzler der türkisen Herzen, er ist schon da. Und er war schon da, als die Konkurrenz im fernen Wien noch im Parlament saß.
17. Juli. Der Friseur meines Vertrauens hat mir heute von seinen persönlichen Gedanken zur politischen Situation im Land erzählt, aber ich sage Euch nichts darüber. Das beliebte Politikanalyse-Genre „Ein Taxifahrer hat mir erzählt...“ soll lieber in Händen der Taxifahrer-Politikanalytiker und –Analytikerinnen bleiben, da wollen wir jetzt keine weiteren Berufsgruppen hineinziehen. Medienmenschen aus dem Polit-Komplex leiden ja oft an dem Problem, nicht mehr allzu viel mit anderen Lebenswelten zu tun zu haben. Man pendelt zwischen Büro, Institutionen, Innenstadt-Terminen und dem persönlichen Umfeld, das vor allem aus Leuten besteht, die zwischen Büro, Institutionen, Innenstadt-Terminen pendeln. In Wien gilt gleich jede Recherche „jenseits der Donau“ in Floridsdorf oder Donaustadt als exotisch, da gibt es ja nicht mal (Innenstadt)-Kaffeehäuser. Unfassbar. Wenn man sich bewusst wird, dass andere Menschen ganz andere Erfahrungen haben und man selber nicht alles weiß, ja manchmal sogar nichts weiß – kann das zumindest helfen, die Welt außerhalb der eigenen Befindlichkeiten ein wenig besser zu verstehen.
24. August. Heute ein wohlmeinender Rat an Menschen aus dem politmedialen Betrieb, die sich natürlich gerade im Wahlkampf wieder in den sozialen Medien mit ihren strategischen Anliegen profilieren wollen, aber manchmal offenbar nicht so recht wissen, wie man sich auf Twitter, Facebook und Co. professionell verhält. Diesen einfachen Satz 50 Mal schreiben (okay, manche vielleicht besser 100 Mal), einprägen, künftig daran denken: „Ich bin hier in der Öffentlichkeit und brülle nicht, beiße nicht, spucke nicht, beleidige nicht, heule nicht rum.“
Es ist gar nicht so kompliziert.
25. August. Frau Hörbiger hat sich in einem Video wenig damenhaft über die SPÖ-Chefin echauffiert, die ihr und dem Land den türkisen Kanzler per Misstrauensantrag („vollkommen verblödet“) genommen habe – und mehr braucht es gar nicht für einen kleinen sonntäglichen Videokrieg zwischen ÖVP und SPÖ. Contenance, liebe Politikmenschen. (Immerhin, Pamela Rendi-Wagner hat Christiane Hörbigers schlecht gelaunte Videobotschaft mit einer gut gelaunten Kaffee-Einladungs-Videobotschaft beantwortet.)
Hinter dem Austausch von Unfreundlichkeiten steht – wie so oft in der Politik – wohl auch eine tiefe Kränkung, auf beiden Seiten. Die Volkspartei kann einfach nicht verwinden, dass ihr Sebastian Kurz durch eine demokratische Abwahl im Parlament sein Amt verloren hat und spricht nach wie vor unverdrossen vom „Sturz“ des Kanzlers. Die Sozialdemokraten haben noch immer nicht verkraftet, dass ihnen Kurz 2017 die Kanzlerschaft abnahm, die sie hierzulande – abseits der Wolfgang-Schüssel-Jahre – schon lange als ihr natürliches Habitat betrachten.
6. September. Wo man hinschaut nur mehr Duelle. Österreichs Politik- und Medienlandschaft liebt das Aufeinandertreffen zweier Menschen zum sportlichen, oft natürlich auch untergriffigen Schlagabtausch, am liebsten vor Fernseh-Publikum. Vielleicht ist Liebe auch das falsche Wort dafür und es hat etwas mit Masochismus zu tun, weil seien wir einmal ehrlich: Sich duellieren widerspricht gänzlich dem fragwürdigen Harmoniebedürfnis, zu dem man hierzulande neigt. Eine konstruktive Streit- und Debattenkultur fehlt uns leider weitgehend – und wenn man, wie ich heute länger mit einem deutschen Kollegen über unsere Kulturen spricht, wird einem das wieder sehr bewusst.
21. September. Warum man nicht Politikerin oder Politiker sein möchte, Grund Nr. 82 (gleich nach: Weil man sich nicht dauernd kleinen Kindern oder älteren Menschen für zwangloses Geplauder und nette Wahlkampf-Fotos aufdrängen will): Weil man nicht in einem geschmacklich fragwürdigen Werbespot für ein Möbelhaus als lustige Truppe in Unterwäsche persifliert werden möchte. Jede Darstellerin, jeder Darsteller trägt darin die Maske einer der Parteispitzen und dazu Wäsche in der Parteifarbe, am Ende kuscheln sich alle miteinander in ein großes Bett. Dem Möbelhaus sei die Aufmerksamkeit vergönnt, die es mit so einer Werbung wohl bekommt. Ein respektvoller Umgang mit den politischen Repräsentanten des Landes sieht allerdings anders aus.
24. September. Heute ist so ein Tag, an dem ich sehr froh bin, dass mir dieses kleine Experiment nur mehr fünf Einträge abverlangt. Alles was ich heute noch sagen will: Bitte immer korrekt und achtsam mit dem Spesenkonto umgehen. Und niemals den Leibwächter verärgern.
28. September. Morgen ist Wahl-Sonntag, endlich. Ich habe mich redlich bemüht, 82 Tage lang Momente des Wahlkampfs zu notieren. An jenen Tagen, in denen ich das Tagebuch innerlich verwünscht habe, half mir übrigens, was Katharina von Siena einst sagte: Nicht das Beginnen wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten. Überhaupt ein gutes Credo für alle in der politischen Welt.
Julia Ortner