Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) droht am Montag wegen der Ibiza-Affäre der Sturz durch den Nationalrat. Damit beträte Österreich auch europapolitisch absolutes Neuland, weil unklar ist, wer am Dienstagabend zum Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in Brüssel fährt. Während Europaminister Gernot Blümel(ÖVP) von einer Kurz-Teilnahme ausgeht, geben sich Bundeskanzleramt und Hofburg bedeckt.
Die Möglichkeiten im Überblick:
- Vizekanzler Löger fährt nach Brüssel
Versagt der Nationalrat nur dem Bundeskanzler das Vertrauen, könnte Vizekanzler Hartwig Löger (ÖVP) für den enthobenen Regierungschef einspringen. Aus Sicht des Verfassungsjuristen Theo Öhlinger kann Bundespräsident Alexander Van der Bellen nämlich Löger - oder ein anderes Mitglied der Bundesregierung - mit der Fortführung der Geschäfte betrauen. Dies setzt voraus, dass Van der Bellen bis Dienstagabend noch keinen neuen Bundeskanzler ernannt hat. - Van der Bellen enthebt erst nach EU-Gipfel
Die Bundesverfassung verlangt vom Präsidenten, einen gestürzten Bundeskanzler unverzüglich seines Amtes zu entheben. Wie viel Zeit er sich in der Praxis lassen kann, ist unklar. "In der Verfassung steht nicht, ob das innerhalb von zwei oder 24 Stunden zu erfolgen hat", erläutert der Innsbrucker Europarechtler Walter Obwexer. Politisch hätte eine Verschleppung, um Kurz die EU-Gipfelteilnahme zu sichern, freilich Risiken. Kurz sollte nämlich "nicht in einem so wichtigen Gremium agieren, wenn ihm das Misstrauen ausgesprochen wurde", gibt Obwexer zu Bedenken. Dagegen äußerte der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Ludwig Adamovich, die Vermutung, dass Kurz auch nach einem Misstrauensvotum nach Brüssel fahren werde - vorausgesetzt er ist bis dahin noch nicht entlassen. - Van der Bellen ernennt Kurz sofort wieder
Laut Obwexer ist es möglich, dass der Bundespräsident den Kanzler entlässt "und ihm gleichzeitig eine neue Ernennungsurkunde in die Hand drückt". Doch politisch wäre auch das wohl nur schwer zu argumentieren. - Neuer Kanzler startet in Brüssel
Sollte Van der Bellen am Dienstag nicht nur Kurz entlassen, sondern auch schon einen neuen Regierungschef ernennen, müsste sich dieser gleich auf den Weg zum EU-Gipfel machen. In diesem Fall säße Österreich zwar beim Europäischen Rat mit am Tisch, doch käme der neue Kanzler "völlig unvorbereitet" zu der Sitzung und könnte die Interessen Österreichs wohl nicht so effizient vertreten, so Obwexer. - Van der Bellen darf nicht
Das Staatsoberhaupt selbst darf nicht für den abgewählten Kanzler einspringen. "Der Bundespräsident kann ihn nicht vertreten", betont der Innsbrucker Europarechtsexperte. Der Bundespräsident habe nämlich nicht die notwendigen verfassungsrechtlichen Kompetenzen dafür, dies sei bereits geklärt worden. - Andere EU-Regierungschefs scheiden als Vertreter aus
Auch die Möglichkeit einer Vertretung durch einen anderen EU-Regierungschef ist Österreich verbaut. Zwar kann ein Mitglied des Europäischen Rates grundsätzlich sein Stimmrecht an einen EU-Amtskollegen übergeben, was auch immer wieder vorkommt. Das geht aber nur, wenn der Vertretene zum Zeitpunkt des Gipfels im Amt ist. "Wenn er nicht mehr im Amt ist, kann er sich auch nicht vertreten lassen", stellt Obwexer klar. - Nur Chefs dürfen zum EU-Gipfel
Wie alle anderen Mitgliedsstaaten darf auch Österreich nur "auf Ebene der politischen Führer" am Europäischen Rat teilnehmen, wie der Sprecher von Ratspräsident Donald Tusk, Preben Aamann, der APA am Donnerstag bestätigte. Eine Vertretung etwa durch den Brüsseler EU-Botschafter Nikolaus Marschik ist somit nicht möglich. - EU-Gipfel findet ohne Österreich statt
Zwar trifft der Europäische Rat seine Beschlüsse in der Regel im Konsens, doch bei den Beratungen am Dienstagabend seien keine Entscheidungen geplant, bestätigte Tusk-Sprecher Aamann. "Es gibt kein Problem mit irgendeinem Quorum", betonte Aamann. Laut der Geschäftsordnung des Europäischen Rates ist die Beschlussfähigkeit die Anwesenheit von mindestens zwei Drittel der Staats- und Regierungschefs erforderlich. Dass ein Mitgliedsstaat bei einem EU-Gipfel nicht vertreten sei, sei "sehr selten", sagte Aamann. - Verschiebung des Misstrauensantrag auf Mittwoch
Es gibt aber noch einen ganz einfachen Weg, eine Vertretung Österreichs beim EU-Gipfel sicherzustellen. Der ÖVP-Klub im Nationalrat könnte nämlich eine Vertagung der Abstimmung über den Misstrauensantrag auf Mittwoch durchsetzen. Paragraf 67 der Geschäftsordnung des Nationalrates sieht nämlich vor, dass ein Misstrauensvotum "auf den zweitnächsten Werktag zu vertagen" ist, wenn dies mindestens ein Fünftel der Nationalratsabgeordneten verlangt. Die ÖVP stellt aktuell genau ein Drittel der 183 Nationalratsabgeordneten.