Die innenpolitische Krise hat mit der Angelobung der neuen Regierung noch lange keine Ende gefunden. Die Liste Jetzt will bei der für Montag geplanten Sondersitzung einen Misstrauensantrag einbringen, auch die SPÖ erwägt einen solchen Vorstoß. Das Damoklesschwert eines Misstrauensantrags baumelt über Kanzler Sebastian Kurz.
Die SPÖ will Kurz am Montag offenbar das Misstrauen aussprechen, zögert aber noch, es offen zu sagen. Nach einem Gespräch mit dem Regierungschef erging sich die Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner jedenfalls neuerlich in der bekannten Kritik am ÖVP-Obmann, der aus ihrer Sicht keinen Konsens mit den anderen Fraktionen gesucht habe.
In einer Stellungnahme nach der Unterredung sagte sie, Regierungskrisen seien immer eine Zeit des Dialogs: "Da braucht es das Gespräch, da braucht es das Aufeinander-Zugehen - und das sehr rasch." Das hätte sie an Stelle von Kurz am Wochenende sehr rasch gemacht und nach einer stabilen Lösung für die kommenden Monate gesucht: "Ich hätte mich für eine stabile Mehrheit im Parlament bemüht. All das ist nicht geschehen."
Erstmals Regierung ohne Mehrheit
In der Geschichte der Zweiten Republik wurden bereits mehr als 180 solcher Anträge eingebracht, mit den Stimmen der Regierungsmehrheit wurden diese stets abgeschmettert. Doch diesmal ist die Situation eine völlig andere: Erstmals seit 1945 verfügt die amtierende Regierung über keine Mehrheit. Wenn die Opposition den Schulterschluss wagt, ist Kurz vorerst Geschichte. Für eine solche Mehrheit bedarf es einer Allianz aus SPÖ und FPÖ - Neos und Liste Jetzt haben nicht die nötigen Stimmen.
Sollte eine Mehrheit der Parlamentarier am Montag dem Kanzler das Misstrauen aussprechen, müsste Kurz die Koffer packen. „Er muss dann umgehend, also am selben Tag, vom Bundespräsidenten seines Amtes erhoben werden“, erklärt Werner Zögernitz, Chef des Instituts für Demokratie und Parlamentsfragen im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Und dann?
Laut Zögernitz gibt es drei Möglichkeiten
Erste Variante: Van der Bellen setzt Kurz wieder als Kanzler ein, was aber einem Affront dem Parlament gegenüber gleichkäme. Zweite Variante: Van der Bellen beauftragt eine anerkannte, politische Persönlichkeit, etwa Ex-EU-Kommissar Franz Fischler, mit der Bildung einer Regierung. Sobald das Team steht, findet die Angelobung statt. Interimistisch übernimmt Vizekanzler Hartwig Löger die Amtsgeschäfte. In der jüngeren Vergangenheit findet sich eine Parallele: Als Werner Faymann im Mai 2017 alles hinwarf, übernahm Vizekanzler Reinhold Mitterlehner für knapp eine Woche die Agenden des Regierungschefs.
Dritte Variante: Fischler wird mit der Regierungsbildung beauftragt und am selben Tag sofort angelobt. Hintergrund des Szenarios: Am Dienstag soll bei einem EU-Gipfel in Brüssel ein umfangreiches Personalpaket geschnürt werden, die Nachfolge von Kommissionschef Jean-Claude Juncker, EU-Präsident Donald Tusk, EU-Außenbeauftragte Mogherini und Parlamentspräsident Tajani stehen zur Entscheidung an. Unvorstellbar, dass Österreich wegen der Regierungskrise an dem Treffen nicht teilnimmt.
Die ÖVP hat es in der Hand, die Abstimmung über den am Montag eingebrachten Misstrauensantrag um 48 Stunden zu verschieben. An der Ausgangssituation würde sich dadurch wenig ändern. Sichergestellt wäre nur, dass Kurz Österreich beim EU-Gipfel vertritt.