Armin Thurnher: Wie gefährlich die rechtsextremen Identitären sind, weiß ich nicht. Das ist Gegenstand polizeilicher und gerichtlicher Ermittlungen, wobei man auf Herrn Kickls Polizei hoffen muss und sich die Gerichte schon einmal als übereifrig erwiesen haben (die Idis wurden heuer in Graz von der Anklage der Aufstachelung zum Hass freigesprochen). Das Gefährlichste an den Identitären scheint mir momentan zu sein, dass die Spende des Attentäters von Christchurch an Identitären-Chef Martin Sellner dessen Gegner zu den immergleichen Fehlern im Umgang mit politischen Extremisten verleitet. Man dämonisiert die Rechten und steigert dadurch die Bedeutung einer kleinen Gruppe ins Riesengroße, oder anders gesagt: Die Gegner der Identitären tun ihnen gerade einen Riesengefallen.
Michael Fleischhacker: Dass die Stärke der Identitären die Inferiorität der Linken ist: geschenkt. Aber das Dämonisierungsthema ist, denke ich, mit der versuchten Instrumentalisierung der Tarrant-Spende nur an der Oberfläche berührt. Ja, im politischen, fast möchte man sagen, parteipolitischen Gewusel ist diese Art von Dämonisierung ein taktischer Fehler. Aber in der Substanz besteht das Problem darin, dass man das Bedürfnis ganzer Gesellschaftsschichten nach kulturellen, ethnischen und religiösen Identitätsstabilisatoren ridikülisiert und kriminalisiert hat. Die einzige akzeptierte Spielart identitärer Lebensführung ist die des gläubigen Muslims, was man daran erkennen kann, dass die Loden-Hasser große Kopftuchfreunde sind.
Thurnher: Lieber Fleischhacker, mit dem falschen Füßchen aufgestanden? Ich weiß nicht, wer in Ihrem Weltbild Dinge wie „Lebensführung“ „akzeptiert“, aber ich sehe doch in unserem Land ausreichend christliche oder kleinbürgerlicheRestbestände, die überhaupt kein Problem mit ihrer Existenz im Einfamilienhaus haben und vermutlich wenn, dann nur schicken Loden tragen. So einfach ist das mit der Identität nämlich nicht, und die Identitären sind Identitätsschwindler, keine „Identitätsstabilisatoren“, sondern vielmehr Sprengmeister. Und was die Spende des Herrn von Christchurch an den Herrn in Graz betrifft, bin ich dafür, die Ergebnisse behördlicher Ermittlungen abzuwarten.
Fleischhacker: Aufstehen war eigentlich kein Problem, lieber Thurnher. Aber ich wäre froh, wenn Sie mich nicht absichtsvoll falsch verstehen wollten. Ich habe nirgendwo behauptet, dass die Identitären Identitätsstabilisatoren sind. Ich habe versucht zu erklären, warum ich denke, dass das Thema Identitätsproduktion in der Mitte der Gesellschaft wieder ein wichtiges Thema ist. Dass die Identitären Identitätsschwindler sind, weiß ich so gut wie Sie. Die Vorstellung, dass man zurückkönnte in eine Welt, in der ethnische Homogenität samt kultureller Abgrenzung und religiöser Verwurzelung für ein erfülltes Leben sorgen, hat surreale Züge, eine Art Ethnodadaismus, möchte man sagen. Aber dass die Verwüstungen, die die Illusionen des Globalismus in den Seelen der Nichthipster hinterlassen haben, Identitätssehnsüchte wecken, kann man auch verstehen. Wer die lächerlich macht, macht die Schwindler interessant.
Thurnher: Gut, dass wir uns so produktiv missverstehen! Ich bin natürlich Anhänger eines gemäßigten Globalismus und einer moderaten Willkommenskultur, ein mittlerer Gutmensch sozusagen, weigere mich aber doch, die Verantwortung für die „Verwüstungen des Globalismus“ auf mich zu nehmen. Vielmehr möchte ich dafür den entgrenzten Kapitalismus verantwortlich machen, was Ihnen als Liberalem weniger gefallen wird. Andererseits muss eine Kapitalismuskritik möglich sein, die nicht antisemitisch grundiert ist, wie jene der Rechtsextremisten, über deren Gefährlichkeit wir ja hier befinden sollen.
Fleischhacker: Als Liberaler stehe ich vor der schwierigen Wahl, wen ich mehr bekämpfen soll, die nationalen oder die internationalen Sozialisten. Götz Kubitschek, der Chefdenker der Neuen Rechten, sagt, dass man die nationale und die soziale Frage voneinander nicht trennen kann. Unser Sozialstaat für unsere Leut’, sozusagen. Mir ist das nicht sonderlich sympathisch, aber ich denke, er hat recht. Man kann entweder offene Grenzen haben oder einen Sozialstaat, sagte Milton Friedman, aber beides gemeinsam kann man nicht haben. Mir scheint, dass sich das gerade bewahrheitet. Menschen, die Ihre Einstellung teilen, mittlere Gutmenschen also, haben es über die vergangenen Jahrzehnte verstanden, diese Tatsache gekonnt wegzuadministrieren. Jetzt sind die Administratoren ein wenig mit ihrem Latein am Ende, wir leben wohl in einer Phase, die Reinhart Koselleck mit dem Begriff „Sattelzeit“ gemeint hat.
Thurnher: Von den drei angebotenen Herren konzentriere ich mich auf Milton Friedman. Wenn der von irgendwas null versteht, dann vom Sozialstaat. Dass der internationale Sozialstaat nicht einmal in Konturen sichtbar wird, ist gewiss mehr schuld an der identitätsmäßigen Verunsicherung der „einfachen Leute“ als das, was Sie Ethnodadaismus nennen. Schlicht gesagt: Jede Supermarktagglomeration am Rand einer Kleinstadt zerstört mehr dörfliche Heimat als alle Linken miteinander. Die österreichisch-ungarische Monarchie war übrigens ein wunderbares Beispiel für diesen Ethnodadaismus, und sie hätte funktionieren können, wenn nicht die Sellners und Kubitscheks von damals die Oberhand behalten hätten. Unterstützen Sie bitte diese Kerle nicht bei deren Operation Begriffsverwirrung! Wenn die selbst Leute wie Sie infizieren, erscheinen sie mir dann doch wieder gefährlich.
Fleischhacker: Ich glaube, es liegt wieder ein Missverständnis vor, und ich weiß nicht, ob es diesmal produktiv ist. Ethnodadaismus ist das, was die Sellners von heute und damals dachten und denken, nämlich dass so etwas wie ethnische Homogenität sinnvoll existieren kann. Es ist ein Konzept, das den Verunsicherten die Illusion der Sicherheit im Eigenen suggeriert. Der internationale Sozialstaat ist das Gleiche in Rot, er gaukelt den Verunsicherten vor, dass Vater Weltstaat es schon richten wird. Ich weiß wirklich nicht, was ich für gefährlicher halten soll. Und ja: Wenn die sogar Leute wie mich infizieren, sind sie wirklich gefährlich.
Thurnher: Der Unterschied ist nur, den Nationalstaat kennen wir, und wir wissen, Rückkehr zu ihm, wie es diese Leute propagieren, ist nicht Rettung, sondern Untergang. Daraus folgt, wir müssen uns in den Sattel unserer Zeit schwingen und etwas anderes zusammenbringen. Den internationalen Sozialstaat gibt es nirgends, schon gar nicht in Rot. Wenn die Wirrköpfe die allgemeine Einsicht stärken, dass so etwas aber unumgänglich ist, haben sie sogar ein Gutes.
Fleischhacker: Der Nationalstaat ist das politische Gehäuse, innerhalb dessen sich unsere Vorstellung von parlamentarischer Demokratie und liberalem Rechtsstaat verwirklichen lassen, sagte Ralf Dahrendorf, darüber gibt es supranationale Gebilde und Vertragskonstruktionen, aber die Idee eines Super- oder gar Weltstaats mit Weltsozialstaat, Weltparlament und Weltgericht neigt ebenso zum Totalitären wie ein zum Rassismus verengtes identitäres Denken. Ich denke, wir sind ganz gut bedient mit dem, was wir haben.