"Pamela Rendi-Wagner war angefragt, ist aber unserer Einladung nicht nachgekommen“ - so antwortet die Redaktion der ORF-Diskussionssendung „Im Zentrum“ auf Kritik, warum zur Diskussion „100 Jahre Frauenwahlrecht“ am vergangenen Sonntag nicht die erste Frau an der Spitze der Sozialdemokratie, sondern die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures gekommen ist.
Eine Parteichefin, die ein Publikum von fast 400.000 Zuschauern auslässt? Die angekündigt hat, auch nicht zum Parteitag nach Tirol Anfang März zu kommen? Nicht erst in den vergangenen Tagen mehren sich die Stimmen, die SPÖ, besonders die Parteichefin, sei in der öffentlichen Debatte zu wenig präsent. „Stille Partei Österreichs“ titelt etwa der „Falter“, „Ist in der SPÖ-Führung wer zu Haus?“, kommentiert der „Standard“, beides der Sozialdemokratie nicht grundsätzlich feindlich gesinnte Blätter.
Dazu kommt die Unterlegenheit der SPÖ an den Stammtischen der Postmoderne, den sozialen Medien: Seine 243.000 Facebook-Fans hat Christian Kern, Rendi-Wagners Vorgänger an der Parteispitze, in den politischen Ruhestand mitgenommen, sie selbst kommt derzeit auf weniger als 75.000 - gerade einmal ein Zehntel von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache, bei denen jeweils knapp unter 800.000 Leute auf „Like“ geklickt haben.
Auch in der Parteizentrale herrscht Kommen und Gehen: Mit Kern verließ nicht nur der Steirer Max Lercher, kein ganzes Jahr Bundesgeschäftsführer, die Partei, auch die Kommunikationsleitung wechselte binnen zwei Jahren vier Mal.
Leichtfried Parlament, Muchitsch im Angriff
Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass die SPÖ-Abgeordneten im Parlament inzwischen durchaus in der Oppositionsrolle angekommen sind; Vizeklubchef Jörg Leichtfried hat etwa die historische Ablehnung der Biomasse-Förderung im Bundesrat orchestriert. SPÖ-Abgeordnete Birgit Sandler war mit einer parlamentarischen Anfrage - dem primären Kontrollinstrument des Parlaments - mitverantwortlich dafür, dass die 45.000-Euro-Miete für ein leeres Asylheim am Semmering publik wurde (die Kleine berichtete exklusiv).
1522 Anfragen haben die 52 SPÖ-Abgeordneten seit Beginn der Legislaturperiode an die Bundesregierung gestellt - das ist nicht nichts, aber pro Abgeordneten weniger als bei den Neos (859 Anfragen von zehn Abgeordneten) oder Jetzt (533 Anfragen von acht Abgeordneten). In der SPÖ sieht man kein Problem in der öffentlichen Wahrnehmung der Partei und Rendi-Wagners: „Das sind Eindrücke einzelner Journalisten“, sagt Thomas Drozda, Ex-Kulturminister und mittlerweile Geschäftsführer der Partei: „Wir haben unsere Strategie, wer was macht - und wer was nicht.“
Rendi-Wagner sei in dieser Strategie die Rolle zugedacht, positiv vorzukommen - und ihre Kernthemen zu bearbeiten: Wohnen, Pflege, Gesundheit und soziale Gerechtigkeit. Den Parlamentarismus decke Leichtfried ab, Sozialsprecher und Gewerkschafter Josef Muchitsch die kämpferische Seite.
Überhaupt trüge die Wahrnehmung, dass Rendi-Wagner nicht öffentlich vorkäme, argumentiert Drozda: In den fast 100 Tagen, die sie an der Spitze der Partei steht, habe die neue Chefin 36 Interviews gegeben; der APA-Medienindex, der Erwähnungen in Berichten (allerdings auch jene, die bloß Randnoten sind) zählt, reihe Rendi-Wagner von November bis Jänner mindestens auf Platz acht.
Experiment mit offenem Ausgang
Es ist ein Experiment mit offenem Ausgang, das die SPÖ hier eingeht. Bisherige Oppositionsparteien tendierten dazu, alle Aufmerksamkeit auf den Parteichef allein zu fokussieren - etwa auf Heinz-Christian Strache, der die FPÖ seit 2005 führt. „Das ist Gewohnheitssache“, sagt Drozda - im Gegensatz zu den Neos mit Beate Meinl-Reisinger oder Jetzt („eine One-Man-Show“) habe sich die Sozialdemokratie entschieden, auf mehrere Akteure zu setzen und sie in unterschiedlichen Rollen aufzubauen: „Wir treten nicht zum Sprint an, sondern zum Dauerlauf“, so Drozda.
Das könnte prinzipiell eine sinnvolle Strategie sein, sagt Politikwissenschaftler Peter Filzmaier: Mit jedem Tag, den die SPÖ in Opposition sei, werde das Argument der FPÖ schwächer, aktuelle Probleme „Jahren sozialistischer Regierung“ in die Schuhe zu schieben.
Aber noch habe es Rendi-Wagner nicht geschafft, für ein Thema die erste Ansprechpartnerin zu werden - wie es der FPÖ mit der Migration gelungen sei. Die Strategie, auf wenige Kernthemen - Wohnen, Gesundheit, Bildung - zu fokussieren, sei sinnvoll, aber noch habe sie Umfragen zufolge nicht die Autorität in diesen Gebieten.
Dazu komme, dass derzeit „Doppelpass und Flankenschutz“ der Parteispitze mit Bundesländern und Gewerkschaft fehlten: Derzeit müssten Auftritte in den Ländern entlang von Konfliktlinien der Partei austariert werden. Es sei ein langwieriger Prozess, den Rendi-Wagner führen müsse: die nächsten Jahre primär als Parteichefin, nicht als Spitzenkandidatin. „Vor der Wahl kommt die Aufmerksamkeit dann ganz alleine wieder“, sagt Filzmaier - bis dahin gelte es, ein klares Image aufzubauen.
Georg Renner