Frauen sind in der Politik angekommen – wenngleich noch keine Rede sein kann von halbe-halbe. Heute vor 100 Jahren, am 16. Februar 1919, wurden Anna Boschek, Gabriele Proft, Amalie Seidel, Emmy Freundlich, Adelheid Popp, Therese Schlesinger, Maria Tusch und Hildegard Burjan in die Konstituierende Nationalversammlung der Republik Deutschösterreich gewählt.

Drei Monate davor, am Gründungstag der Republik im November 1918, wurde das allgemeine, gleiche und geheime Stimmrecht aller Staatsbürger "ohne Unterschied des Geschlechts" beschlossen. Heute, 100 Jahre später, sind Frauen in der Politik zumindest keine Ausnahmeerscheinung mehr: Rund 30 Prozent der Abgeordneten in den Parlamenten innerhalb der Europäischen Union sind weiblich.
Die langjährige CDU-Chefin Angela Merkel hat Geschichte geschrieben, die Bezeichnung "Kanzlerin" ist als Selbstverständlichkeit in den deutschen Wortschatz eingeflossen. Die britische Premierministerin Theresa May beeindruckt durch ihren einsamen Kampf für eine Zukunft Großbritanniens ohne EU-Mitgliedschaft. Ein Kampf, bei dem sie kaum Verbündete hat.

Alt wie jung

Die 78 Jahre alte US-Demokratin Nancy Pelosi verweigert US-Präsident Donald Trump den Mauerbau und zwang ihn sogar, seine Rede an die Nation zu verschieben. Die 76 Jahre alte Frauenrechtlerin Alice Schwarzer führt einen kompromisslosen Kampf gegen alles, was sich dem weiblichen Wollen an patriarchalen Strukturen und immer wieder neu erstarkenden oder auch zuwandernden männlichen Herrschernaturen entgegenstellt. Die 16 Jahre alte Greta Thunberg aus Schweden initiiert einen Schülerstreik und entfacht damit eine Bewegung, die sie zum Weltklimagipfel nach Kattowitz und zum Weltwirtschaftsforum nach Davos führt. Die Liste ließe sich beliebig fortführen, und dennoch bleibt ein schaler Geschmack.

Wo Demokratie ihre Basis hat, sind Frauen immer noch unterrepräsentiert. 7,7 Prozent der Bürgermeisterinnen in Österreich, 23 Prozent der Gemeinderätinnen sind weiblich. Helga Lukoschat, Vorstandsvorsitzende der EAF Berlin, die sich mit dem Thema Frauen in Führungspositionen beschäftigt, fasste die Gründe dafür bei einem Vortrag so zusammen: Die zeitlichen Belastung, die Nicht-Vereinbarkeit von einem politischen Amt mit Familie und Beruf, stellt immer noch eine Barriere dar. Eine Befragung der EAF Berlin zeigte, dass die Mehrzahl der männlichen Bürgermeister nach wie vor in einem traditionellen Partnerschaftsmodell lebt, in dem die Partnerin oder Ehefrau dem Mann den Rücken freihält und sich um das Familienmanagement kümmert.
Für Männer ist das Bürgermeisteramt daher gleichzeitig mit Familie möglich, während es Frauen in der Regel nur in einem zeitlichen Nacheinander schaffen. Das gilt auch für höhere Positionen. Frauen wie Familienministerin Juliane Bogner-Strauß, die kleine Kinder hat und außerdem ihr Leben zwischen Graz und Wien organisieren muss, sind die große Ausnahme.

Frauen, so Helga Lukoschat, wägen unter diesen Bedingungen besonders sorgfältig ab, ob sie die Aufgabe mit ihrer familiären Situation in Einklang bringen können, und entscheiden sich häufiger als Männer dagegen. Außerdem gehen sie von vornherein weniger strategisch an ihre politische Karriere heran. Männer planen ihre Karriere, streben gezielt Ämter an, pflegen ihre Netzwerke und bringen sich durch wichtige Schlüsselfunktionen in Position.

Nachzügler FPÖ

Kandidatenauswahl und Nominierungsverfahren schließlich taten ein Übriges, um Frauen fernzuhalten von der politischen Macht, auch wenn die "Reißverschlussliste" inzwischen in allen Parteien außer der FPÖ in Parteistatut oder politischem Alltag verankert ist.

Das aktive und passive Wahlrecht der Frauen ist 100 Jahre alt. Bis die Teilhabe der Frauen an der Macht eine Selbstverständlichkeit ist, führt kein Weg an Verpflichtung und Selbstverpflichtung vorbei: Quote und aktive Suche nach weiblichen Bewerbern, bewusste Nachwuchsförderung, eine moderne Kommunikationsstruktur, die alte "Seilschaften" ersetzt, Imagepflege durch Rollenvorbilder und Lobbyarbeit in Netzwerken sind gute Rezepte. Die beste Voraussetzung für die Wirkung ist die solidarische Unterstützung durch die Männer, im Wissen darum, dass mehr Macht für die Frauen ein Weniger an Macht für sie bedeutet.