Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat in der Debatte des "Dringlichen Antrags" die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und klar gestellt, dass die Regierung auf sie angelobt sei, da sie sich im Verfassungsrang befinde. Auch das Regierungsprogramm spreche hier eine eindeutige Sprache.
Als Verteidiger von Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) trat der Kanzler nicht auf. Allerdings betonte er, dass die von der EU vorgegebenen Regelungen zur Außerlandesbringung von straffälligen Asylwerbern "unserer Meinung nach" sehr eng seien. Daher setze sich die Regierung auf europäischer Ebene für einen größeren Spielraum bei der Abschiebung von straffällig gewordenen Flüchtlingen ein.
Plädoyer für Sachlichkeit
Insgesamt hielt der ÖVP-Chef wohl mit Blick auf Kickls Aussage, wonach das Recht der Politik zu folgen habe, fest, dass Österreich eine starke Demokratie sei, deren Fundament ein funktionierender Rechtsstaat und eine ordentliche Gewaltenteilung sei. Allgemein appellierte er in seiner mit sechs Minuten sehr kurzen Rede, das Zusammenspiel zwischen Regierung und Opposition möglichst sachlich zu führen.
Kickl (FPÖ) ist eigenen Angaben zu Folge während der Parlamentsdebatte zum Misstrauensantrag gegen ihn nicht untätig geblieben. In einem Instagram- und Facebook-Posting betont er, sich mit Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) über erweiterte Rückführungsmöglichkeiten von abgelehnten Asylwerbern nach Syrien unterhalten zu haben.
Wörtlich schreibt Kickl: "Die Opposition verwendet zur Stunde im Parlament viel Redezeit dafür, sich über Dinge zu beschweren, die ich nie gesagt habe. Ich habe währenddessen die Zeit genutzt, um mit meiner Regierungskollegin Außenministerin Karin Kneissl wichtige Themen zu besprechen."
Eingebracht hatte den "Dringlichen Antrag" der Liste Jetzt-Abgeordnete Alfred Noll, der darauf verwies, dass die Aufregung über Kickls Aussage nicht nur bei der Opposition sondern auch bei Künstlern, Richtern und sogar dem Justizminister groß sei: "Ein Innenminister dieser Republik darf so etwas nicht sagen." Der Satz, wonach das Recht der Politik zu folgen habe, sei "unterirdisch" und entspreche einem "verbalen Sprengstoff-Attentat auf diesen Rechtsstaat: "Wer so etwas sagt, der hat an dieser Stelle nichts verloren."
Denn eigentlich habe ein Minister die Verfassung zu loben und zu preisen, für sie zu werben und die ganze Autorität in deren Verteidigung zu legen. Tatsächlich wolle Kickl aber die parteipolitische Deutungshoheit über unsere Regeln des Zusammenleben stellen. Freiheitliche Tagespolitik werde gegen konsensuale Nachkriegspolitik ausgespielt.
Kurz statt Kickl bei der Debatte
Kickl selbst, der heute bereits den fünften Plenartag erlebt, an dem der insgesamt sechste Misstrauensantrag gegen ihn eingebracht wird, nahm an der Debatte nicht teil - musste er auch nicht, nachdem der "Dringliche" an den Kanzler gerichtet wurde. Der wiederum hatte Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) zum Sitznachbarn. Mit Ministerin Margarete Schramböck und Staatssekretärin Karoline Edtstadler hatten sich noch zwei Mitglieder aus der ÖVP-Regierungsriege dazu gesellt.
SPÖ, NEOS und die Liste Jetzt (Ex-Pilz) wollen, dass der Nationalrat Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) das Vertrauen entzieht. Den Antrag dafür brachte Peter Pilz (Jetzt) nach den Ausführungen des Kanzlers ein - und danach lieferten sich die Abgeordneten eine teils sehr scharfe Auseinandersetzung. Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) trat zur Verteidigung Kickls an.
Dieser habe "zu keinem Zeitpunkt die Menschenrechtskonvention oder die Menschenrechte als solche infrage gestellt" - sondern nur falsche Gesetze (nämlich die EU-Statusrichtlinie) hinterfragt, die schwere Straftäter vor Abschiebung schütze, erinnerte Strache an die Ermordung einer 16-Jährigen durch einen Flüchtling. SPÖ, NEOS und Jetzt würden "bewusst Aussagen falsch interpretieren", mit "böser Absicht". Strache pflichtete Kickl bei: Natürlich folge das Recht der Politik - denn hier im Parlament "sitzt die Politik", die Gesetze beschließe und zu ändern habe, an die sich "alle" und auch die Regierung "selbstverständlich" halten würden. Aber die Politik habe auch die Verantwortung, Gesetze zu ändern, wenn sie nicht richtig sind, verteidigte Strache Kickl.
Die Opposition ging scharf ins Gericht mit dem Innenminister: Es gebe "kaum einen Tag, an dem Kickl nicht Gesetze dieser Republik bricht". Er sei "vielleicht die größte Gefahr für die österreichische Bundesverfassung und die Gesetzes- und Verfassungstreue der Angehörigen der Regierung Sebastian Kurz", begründete Pilz, warum das Parlament dem Minister das Misstrauen aussprechen sollte.
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner nahm auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) in die Pflicht: Kickl würde zurücktreten, "hätte er nur einen Funken Anstand" - und hätte Kurz "mehr Courage und Verantwortung vor allem dem Rechtsstaat gegenüber", wäre zum Bundespräsidenten gegangen, um die Entlassung Kickls vorzuschlagen. Mit den Worten "Opfern Sie nicht Ihre Haltung" versuchte Rendi-Wagner, ÖVP-Abgeordnete zur Zustimmung zu bewegen - und damit "als Demokraten dafür zu sorgen, dass sich die Menschen auch in Zukunft auf den Rechtsstaat verlassen können".
NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger sieht Kickl in jedem Fall rücktrittsreif: Wenn er, wovon sie ausgehe, wusste, was er da in Sachen EMRK sagte, wäre es sowieso als Innenminister nicht tragbar - und hätte er es nicht gewusst, wäre er "heillos überfordert als Minister und ebenfalls nicht tragbar in diesem Amt". Aber die Regierung pflege insgesamt einen "saloppen Umgang" mit Verfassungs- und EU-Recht. Dass es heute "keine scharfe Trennlinie zwischen autoritärer Politik und Politik auf dem Boden des Rechtsstaates und der Verfassung" mehr gebe in Österreich, mache vielen Menschen Sorgen.
Von den Regierungsparteien traten ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl und FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz an, um die Kritik der Opposition zurückzuweisen. Gerstl wies zunächst einmal darauf hin, dass man ausdrücklich im Regierungsprogramm lesen könne, dass die Menschenrechte die Basis seien - und man möge doch "uns an unserer Arbeit im Regierungsprogramm messen". Aber die Opposition betreibe keine seriöse Politik - habe sie doch kein einziges Zitat vorbringen können, wo Kickl die EMRK in Zweifel gezogen hätte. SPÖ, NEOS und Jetzt wollten "nur die Arbeit der Regierung schlecht machen".
Der Opposition passe es nicht, dass Kickl "Probleme aufgreift, aufzeigt und auch löst", meinte FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz. Die Opposition denke auch, "wenn Ideologie und Wirklichkeit nicht zusammenpassen ist die Wirklichkeit falsch". Dabei sei es aber umgekehrt: "Ihre Ideologie ist die falsche, um die Probleme der Jetztzeit zu lösen".