Es war ein Tag der Verteidigung der Bundeshauptstadt. Am Vormittag hatte sich Bürgermeister Michael Ludwig mit seiner SPÖ-Regierungsmannschaft vor die Presse gestellt, um die Angriffe der Bundesregierung zurückzuweisen. Abends saß er im Salon der Kleinen Zeitung in Wien und sprach mit Chefredakteur Hubert Patterer nicht nur über Politik.
„Man geht immer in den eigenen Schuhen“, erwiderte Ludwig auf die Frage, wie sich das Gehen im großen Schuhwerk seines Vorgängers Michael Häupl anfühle. Im Vorbeigehen streute er ein, er habe das Amt ja nie angestrebt. Nach einem kurzen Schwenk zu den kärntnerisch-steirischen Urlaubszielen der Familie Ludwig am Wörthersee, in den Nockbergen oder in der Thermenregion lange vor deren rasanter Entwicklung landete das Gespräch beim großen Streitthema, der Mindestsicherung.
„Ich glaube nicht, dass es eine gute Entwicklung ist, wenn immer weniger Menschen in der Früh aufstehen, um zu arbeiten“, hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz vor Tagen gegen Wien polemisiert. Warum der Bürgermeister so spät auf den Angriff reagiert hatte? „Um deutlich zu machen, dass ich nicht gleich anspringe, wenn jemand eine Äußerung macht“, antwortet Ludwig. Erst als er den Eindruck gewann, es handle sich um „eine organisierte Kampagne gegen Wien“, habe er sich entschlossen, als Bürgermeister dagegen aufzutreten. „Wir wollen nicht schlechter behandelt werden als die anderen Bundesländer.“
Mindestsicherung ist nach Ansicht des Bürgermeisters nur eines der Themen, mit denen Türkis-Blau anzugreifen versuchte. Dabei seien er und seine Partei bei Weitem nicht die Einzigen, die gegen die Gesetzesvorlage auftreten. „Von 140 Stellungnahmen zum Gesetz waren nur drei positiv“, sagt Ludwig und weist darauf hin, dass viele Hilfsorganisationen massive Einwände vorgebracht hatten. So lehne er die Staffelung der Leistungen für Kinder ab. „Dass Kinder immer weniger wert werden, ist für uns untragbar“, wiederholt er das Argument, mit dem die SPÖ von Anbeginn an gegen das Modell der Regierung vorging.
„Die Regierung ist gut beraten, die Kritik aufzunehmen.“ Das Gerechtigkeitsargument, dass arbeitende Menschen nicht weniger verdienen sollten als Mindestsicherungsbezieher, sehe er schon, sagte der Bürgermeister. Daher habe Wien den Beschäftigungsbonus eingeführt, statt „Politik auf Kosten der Benachteiligten“ zu machen. Verschärfungen führten nur zu Verschiebungen des Problems, argumentiert Ludwig und verweist auf die Kriminalisierung von Obdachlosigkeit in Ungarn. Das habe zu einer Zunahme der Obdachlosen in Wien geführt, behauptet er.
Zum Alkoholverbot am Praterstern und dem Essverbot in U-Bahnen, Maßnahmen, die dem grünen Koalitionspartner nicht gefielen, fand Ludwig interessante Begründungen. Es gehe ihm darum, den öffentlichen Raum für alle benutzbar zu halten. „Frauen dürfen sich nicht behelligt und verunsichert fühlen“, sagt er. „Die Gesellschaft ist so frei wie noch nie in der Geschichte unseres Landes. Was verloren geht, sind die ungeschriebenen Gesetze unter dem Motto: Das macht man nicht.“ Ihm wäre es nicht eingefallen, in der U-Bahn Spaghetti zu essen. Ludwig sieht die Gefahr einer Abwärtsspirale im öffentlichen Raum, wenn Menschen nicht mehr das Gefühl haben, öffentliche Verkehrsmittel benützen zu können, „ohne fürchten zu müssen, sich in eine Pizzaschnitte zu setzen“.
Kühl reagierte er auf die Frage nach seinem Koalitionspartner, den Grünen. „Liebeserklärungen mache ich meiner Frau, sonst niemandem.“ 2020 würde gewählt, dann werde man weitersehen. Zweimal wies er auf seine guten Beziehungen zur Wirtschaftskammer in Wien hin, als wollte er sich auch die Option einer Koalition mit der ÖVP offenhalten. Mit dem Kanzler habe er „persönlich kein Problem“, er habe sich mit ihm darauf verständigt, bald unter vier Augen zu sprechen. Er sei kein Freund persönlicher Angriffe in der Politik.
Gefragt nach dem Zustand der Bundes-SPÖ, wich Ludwig aus: „Ich sehe die Sozialdemokratie immer als Ganzheit.“ Die neue Chefin, Pamela Rendi-Wagner, angegriffen zu haben, bestritt er. An innerparteilicher Kritik blieb nur der Satz: „Die SPÖ muss noch deutlicher werden in der politischen Auseinandersetzung.“
Seinen Lieblingsort in Wien gab Ludwig nicht preis: „Als Bürgermeister habe ich nur Lieblingsorte.“