Sie gaben sich als holländisches Touristenpärchen aus und buchten ihr Zimmer in Wien beim Reisebüro Ruefa. Ein Bekannter habe Monate zuvor in einem nahe gelegenen Bauernhof seine Ferien verbracht und trotz des obersteirischen Dauerregens von den Örtlichkeiten geschwärmt. Deshalb wolle man die Gegend um Gaishorn entdecken und erwandern.
Eine Woche verbrachten das Paar auf dem prachtvollen, liebevoll mit Blumen geschmückten Bauernhof. Im Laufe der Tage kamen die beiden mit dem Besitzer und dessen Frau ins Gespräch, man erkundete den Hof, die Stallungen, freundete sich mit dem Hund, der das Anwesen bewachte, an und erhielt so Einblick in die Lebens- und Essgewohnheiten der obersteirischen Bauernfamilie.
Ein paar Jahre später wollte man sich wieder am Hof einquartieren, doch die Besitzer hatten aufgehört, Zimmer an Fremde zu vermieten. Ob sie Verdacht geschöpft hatten?
Geheime Todesliste
Mindestens fünf (!) Mal hatten Agenten des israelischen Mossad zwischen 1978 und 1986 den Versuch unternommen, sich mit falschen Identitäten bei Franz Murer und seiner Frau Elisabeth einzuquartieren. Die vermeintlichen Feriengäste, die in den seit Kurzem einsehbaren Mossad-Unterlagen anonymisiert als A., C., R. oder Z. aufgelistet sind, waren Mitarbeiter einer Spezialeinheit des israelischen Geheimdienstes, die nur einen Auftrag hatten: jene Personen, die auf der geheimen, vom israelischen Ministerpräsidenten genehmigten Todeslisten stehen, aufzuspüren, auszukundschaften und zu liquidieren. Auf der Liste standen die ranghöchsten NS-Verbrecher und die brutalsten und perfidesten Nazi-Schergen, denen es gelungen war, sich den Fängen der Justiz – mit oder ohne Beteiligung der Gerichte – zu entziehen und unbehelligt in Freiheit und Wohlstand zu leben.
Dass der Mossad still und heimlich Staatsfeinde liquidiert, ist bekannt. In den letzten Jahren wurden zahllose iranische Atomexperten mit Sprengsätzen, die vom fahrenden Motorrad aus mit Magneten am Auto befestigt wurden, in die Luft gesprengt. Mit einer solchen Autobombe sollte 1980 in der Klagenfurter Innenstadt der Kärntner Ernst Lerch getötet werden. Lerch hole immer allein sein Auto aus der Garage, heißt es in den Mossad-Unterlagen, seine Frau steige erst draußen zu. Mit einer Fernzündung könne man Lerch, einer der Mitorganisatoren des Massenmords an 1,8 Millionen polnischen Juden, ins Jenseits befördern.
Enthüllungsbuch
Vor Kurzem erfuhr die Weltöffentlichkeit von dem Spezialauftrag mit dem Decknamen B4, den Israels Premier Menachem Begin am 23. September 1977 unterzeichnet hatte. Um das Vorhaben geheim zu halten, wurden nur zwei Kopien des Erlasses gefertigt, der die Tötung von einem Dutzend ehemaliger Top-Nazis anordnete: Neben dem „Todesengel von Auschwitz“ Josef Mengele, dem Hitler-Vertrauten Martin Bormann oder Klaus Barbie, dem Gestapo-Chef von Lyon, finden sich zwei Österreicher auf der Liste: Franz Murer, der „Schlächter von Vilnius“, sowie Ernst Lerch. Beiden lebten unbehelligt in ihrer alten Heimat: Murer, der 1957 zum Obmann der ÖVP-nahen Bezirksbauernkammer aufgestiegen war, auf seinem Bauernhof in Gaishorn, Lerch als Chef eines Tanzcafés in der Klagenfurter Innenstadt, in dem Udo Jürgens seine musikalische Karriere begann.
In einem dieser Tage erschienen 800-Seiten Werk über die geheimen Todeskommandos des Mossad enthüllt der israelische Geheimdienstexperte Ronen Bergman, dass – entgegen der landläufigen Meinung – das Aufspüren und das Liquidieren von ehemaligen Nazis von nachrangiger Bedeutung war. Die diversen Dienste hätten alle Hände voll zu tun gehabt, die Vorgänge in den arabischen Ländern sowie bei den Palästinensern zu verfolgen, dass für solche Aktivitäten die Zeit, das Personal, die Ressourcen fehlten. Die spektakuläre Enrführung von Adolf Eichmann 1961 bildete wohl den Höhepunkt, erst Begin eröffnete 1977 wieder die Jagd auf die NS-Verbrecher.
Attentats-Termine standen fest
Murer und Lerch sollten im Juni 1980 ermordet werden, geht aus den hebräischsprachigen Unterlagen des ehemalige Mossad-Mitarbeiter Yossi Chen hervor, die seit Kurzem auf der Homepage der Holocaust-Gedenkstätte von Yad Vashem veröffentlicht sind. Murer sollte auf seinem Hof mit einem Gewehr erschossen werden, Kopfzerbrechen bereitete den Agenten die Flucht. Der Plan war, das Auto am Bahnhof in Trieben zu wechseln, um eine falsche Fährte zu legen.
Einfacher war es bei Lerch, dessen Tagesablauf der Mossad genau kannte. So verließ er um acht Uhr für eine Stunde das Haus, um zehn Uhr suchte er ein Kaffeehaus auf, um Zeitung zu lesen. Lerch fuhr einen bordeauxroten Renault 9 mit der Klagenfurter Nummer K 2140. Um niemanden zu gefährden, sollte er in seinem Auto in der Garage die Luft gejagt werden.
Beide Pläne wurde nie in die Tat umgesetzt. Der neue Mossad-Chef Yitzhak Hofi sprach sich dagegen aus, weil Wien bei der Ausreise und dem Transit russischer Juden eine Schlüsselrolle einnahm. Attentate auf österreichischem Boden könnten die Beziehungen gefährden. 1984 wollte der bekannte Nazi-Jäger Serge Klarsfeld Murer zur Strecke bringen, doch der Mossad entzog ihm die Unterstützung und brachte das Vorhaben zu Fall.