Jeden Tag eine neue, aufgeregte Nicht-Meldung um die Frage, was die neue Regierung mit Langzeitarbeitlosen vorhat - diese Debatte nervt.
Ja, das türkis-blaue Team steht unter Beobachtung und soll auch kritisch begleitet werden. Aber: An den Taten wollen wir sie messen.
Ja, die Ankündigung, das Arbeitslosengeld neu zu regeln, kann als gefährliche Drohung von jenen verstanden werden, die die tief-blauen Töne von der "sozialen Hängematte" noch in den Ohren klingen haben und die sich daran erinnern, welches Wohlwollen schwarze Wahlkämpfer dem "Kapital", sprich Großverdienern und Großindustriellen, entgegengebracht haben.
Drohung und Potenzial
Daher: Gut, dass die erste Ankündigung, das Arbeitslosengeld und die bisherige "Nostandshilfe" (die Existenzsicherung nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes) solle neu geregelt werden, aufmerksam beobachtet und auf ihr negatives Potenzial hin analysiert wurde. Auch von uns.
Aber jetzt ist einmal darauf zu warten, wie das konkrete Alternativmodell aussieht, und das wird - so haben es Kanzler Sebastian Kurz und Vize Heinz-Christian Strache angekündigt, möglicherweise bis zum Ende dieses Jahres dauern.
Im Regierungsprogramm steht dazu nur, dass die, die länger in die Versicherung eingezahlt haben, längere Zeit einen Anspruch haben sollen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Man könnte daraus sogar die Perspektive ableiten, dass Langzeitversicherten die Existenz während einer Arbeitslosigkeit in ihren letzten Berufsjahren künftig nicht mehr per "Almosen" abgegolten werden soll sondern dass sie Arbeitslosengeld-Anspruch bis zum Beginn der Pension haben.
Man könnte.
Oder, so wie es Sozialministerin Beate Hartinger-Klein zuletzt gegenüber der Kleinen Zeitung andeutete, dass es eine neue Form von Grundsicherung für alle geben kann, die die Absicherung von Langzeitarbeitslosen einschließt.
Was die neue Regierung tatsächlich vorhat, soll sie jetzt vorlegen, dann werden wir sie an ihren Taten messen. Es ist sportlich wertlos, ohne konkretes Konzept jeden Tag aufs Neue die Aussagen von Hartinger-Kurz im Detail daran zu messen, ob sie jetzt ident sind mit den Erwartungen der Regierungsspitze oder nicht.
Ungerecht
Faktum ist, dass die Notstandshilfe schon bisher ungerecht war. Einerseits, weil verheiratete Arbeitslose wegen des Partnereinkommens kaum Anspruch hatten, und andererseits, weil Höhe und Dauer des Bezugs im Ermessen des Sachbearbeiters waren, also willkürlich und beliebig.
Faktum ist aber auch, dass die Frage, wie ein wohlhabender Staat wie Österreich mit den Ärmsten der Armen umgeht, also Armen und Arbeitslosen, egal übrigens ob Inländer oder Ausländer, entscheidend ist.
Ausgleich
Entscheidend dafür, ob Politik als Ausgleich für alle gemacht wird, so wie es in einer funktionierenden Demokratie der Anspruch von demokratisch gewählten Politikerinnen und Politikern an sich selbst sein sollte, oder ob nur Mächtige und starke Interessens-, sprich Wählergruppen, bedient werden, Was im übrigen die bisherige Oppositionspartei FPÖ immer der vorigen SPÖ-ÖVP-Regierung zum Vorwurf gemacht hat.
Isolation
Zu diesem Ausgleich gehört die finanzielle Absicherung inklusive Schutz von Wohnung, Telefon und Auto vor dem Zugriff des Staates, aber auch die Menschenwürde (dass niemandem zugemutet wird, die sprichtwörtliche Straße zu kehren, um überhaupt Anspruch auf diese soziale Absicherung zu haben - Stichwort 5-Euro-Jobs).
Dazu gehört aber auch, dass alle Anstrengungen unernommen werden, um Menschen in Arbeit zu bringen, weil diese Arbeit in unserer Gesellschaft identitätsstiftend ist:
Untätigkeit führt zu Depression, Isolation führt zu Einsamkeit. Der Umstand, auf die zweitwichtigste Frage nach der nach dem Namen, nämlich jene, "Und was machen Sie?" keine Antwort zu haben, macht den "Makel" für alle sichtbar.
Lasst uns also abwarten, wie das neue Konzept aussieht. Und dann erst applaudieren oder den Stab über das türkis-blaue Experiment brechen.
Claudia Gigler