Das waren noch Zeiten: Als Innenminister Franz Olah 1965 im Zorn von der SPÖ schied, gründete er - nein, keine „Liste Olah-la“ oder sonstigen Klamauk. Sondern ganz brav eine herkömmliche Partei mit Drei-Buchstaben-Abkürzung. Die „Demokratische Fortschrittliche Partei (DFÖ)“ errang bei der Wahl 1966 drei Prozent der Stimmen und null Mandate. Sie schadete der SPÖ und verhalf der ÖVP zur absoluten Mandatsmehrheit. Ob damit ihr tieferer Zweck erfüllt war, wusste nur Olah selbst.

Es war die Zeit, als man noch an die Parteien-Logik glaubte: Politik wurde über die Vermittlung von Parteien gemacht, what else? Und das Parteien-Image war rundum intakt. Zwei Millionen Österreicher hatten ein Parteibuch, das waren mindestens dreimal so viele wie heute. Oft erhofften sie sich dadurch Wohnungen, Jobs, Überschaubarkeit. Politische Macht war zu einem Gutteil reale Verteilungsmacht.

Zwar hatten im Rundfunk-Volksbegehren 1964 mehr als 830.000 Österreicher gegen die Parteieneinflüsse im Proporz-ORF unterschrieben. Aber noch 1970 bekundeten in einer Gallup-Studie 85 Prozent der ÖVP-Wähler und sogar 90 Prozent der SPÖ-Wähler: „Ich wähle immer dieselbe Partei.“ Die Studie bescheinigte drei von vier Österreichern eine „stabile und eindeutige Präferenz“ für ein weltanschauliches Lager. Dabei standen die Parteien nicht einmal im Gesetz. Formal wurden sie erst 1975 mit dem Parteiengesetz erfasst - und begannen, Ironie der Geschichte, bald darauf zu erodieren.

Heute ist vom Glanz der Parteiendemokratie nichts mehr übrig. Wer als postmodern-aufgeklärter Wutbürger etwas auf sich hält, findet grundsätzlich alles pfui, was an Parteipolitik auch nur anstreift. Und deshalb muss dringend alles vermieden werden, was nach Partei, Establishment oder Elite riecht. „Elite“ im Wortsinn sind die Gewählten zwar immer. Aber dieser Zusammenhang wird verlässlich verdrängt.

Ohnehin sind heute nicht verbindliche Strukturen gefragt, sondern labile Emotionen. Die politische Landschaft ist voll mit Bewegungen und Plattformen, mit „Teams“ und Listen und Ad-hoc-Bündnissen. Alles fließt im Rahmen der „liquid democracy“, und die Parteien erscheinen sogar über-flüssig.

Sicher: Abspaltungen nach persönlichen Streitigkeiten oder inhaltlichem Zwist gab es auch früher. Das Liberale Forum, das BZÖ oder die Listen von Fritz Dinkhauser (Tirol) und Gerhard Hirschmann (Steiermark) sind Beispiele. Hans-Peter Martin, Frank Stronach, Richard Lugner, die Piraten: Man hat gelernt, mit mehr oder weniger skurrilen politischen Himmelserscheinungen zu leben. Alle paar Jahre tauchte jemand auf, der erlösergleich versprach, „aufzuräumen“ und jetzt aber wirklich alles ganz anders zu machen.

Doch heute sind es die Parteien selbst, die sich in der Mimikry des Apolitischen verstecken und im Sog des Anti-Establishments ihr Heil suchen. In Frankreich führte Emmanuel Macron seine Plattform „En Marche“ aus dem Stand zum Erfolg, in den USA kam Donald Trump mit einem teils gegen die eigene Partei geführten Underdog-Wahlkampf ins höchste Amt. Auch Österreichs Präsident Alexander Van der Bellen schilderte sich im Hofburg-Wahlkampf als „überparteilich“ aus.

Im aktuellen Wahlkampf wird diese Spirale weitergedreht: Sebastian Kurz wandelt die schwarze Partei zur türkisen Bewegung und gibt das Qualitätsversprechen ab, auf der Bundesliste ausschließlich Nichtmitglieder zu postieren. Wenn das nur nicht zu einer Parteiaustrittswelle führt! Der Ex-Grüne Peter Pilz firmiert als „Liste“. Sogar die alte KPÖ präsentiert sich als „KPÖ Plus“ - eine Plattform mit den rebellischen Jung-Grünen. Und Kabarettist Roland Düringer legt Wert darauf, dass seine Liste „G!LT“ keine Partei sei, sondern eine Partie. Diese Logik ist zumindest für Legastheniker nicht barrierefrei.

Hinter all dem steckt die fortschreitende Erosion des Politischen. Schon 1982 bezeichnete Petra Kelly die deutschen Grünen als „Antiparteien-Partei“. Der Politologe Bernd Guggenberger vernahm 1990 einen „deutlichen Dissidenzappell wider Parteien und Verbände, wider Bürokratien Großorganisationen“. Er deutete dies als Absage an das große Ganze, an das Allgemeine in der Politik. Die Trennung zwischen den Sphären „Oikos“ (Haus) und „Polis“ (Staat) - und damit eine Säule des abendländischen Politikverständnisses - werde aufgeweicht und relativiert. An ihre Stelle trete ein „Auswanderungsbegehren in Richtung einer überschaubaren Mikropolitik des Wünschens und Sehnens“, schrieb Guggenberger.

Ein Vierteljahrhundert später hat die Systemverweigerung längst System. Und sie wird mit großem Trara in die Auslage gestellt. „Der politische Stillstand hat sehr viel mit Parteien zu tun“, sagte Peter Pilz bei seiner Listen-Präsentation. Parteien seien „Funktionärsblöcke, die Abgeordneten Befehle geben“, befand der Ex-Grüne und verzog den Mund, als handle es sich um ein Strafdelikt.

Wahr daran ist: Die Parteien haben sich ihren Abstieg großteils selbst zuzuschreiben, weil sie sich aus Angst vor Machtverlust lange jedem Wandel verweigerten. Die oft besprochene Stärkung des Persönlichkeitswahlrechtes fand nur in Spurenelementen statt. Bis heute wirken die Parlamentsparteien als intransparentes Machtkartell, als Wagenburg rund um gut dotierte Posten.

Bei aller Kritik an diesen Zuständen bleibt aber unklar, was an ihre Stelle treten soll. Noch jede neue Bewegung hat sich binnen kürzester Zeit selbst im Gestrüpp der Diadochenkämpfe um Einfluss, Posten, Geld und Eitelkeiten verfangen. Auch in Antiparteien gibt es Antipathien. Wenn Düringer jetzt die vorderen Listenplätze seiner „Partie“ sogar per Tombola verlosen will, dann illustriert das einen egalitär motivierten Nihilismus, der in seiner Hilflosigkeit destruktiv wirkt.

Der Schluss liegt nahe, dass es sich bei all den unpolitischen Nichtparteien um nicht viel mehr als einen modischen Etikettenschwindel dreht. So wie die zuckerfreie Limonade trotzdem süß (und schädlich) ist, steckt in der Antiparteien-Partei trotzdem Politik. Und das ist gut so. Denn auch der Überparteilichste wird beim Austragen von Werte- und Interessenkonflikten scheitern, wenn er sich als Unparteiischer versteht. Partei zu ergreifen, für oder gegen etwas zu sein - das bleibt die Zumutung des Politischen. „Immerwährende Neutralität“ gibt es nur im Märchen. Und in einem österreichischen Gesetz.