Der Bürgermeister der italienischen Insel Lampedusa, Salvatore Martello, kritisiert Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP). Dieser hat am Donnerstag bei seinem italienischen Amtskollegen Angelino Alfano in Wien darauf gepocht, illegal in Italien via Mittelmeer eingetroffene Migranten nicht mehr von Inseln auf das Festland zu lassen.
"Eine derartige Aussage hätte ich mir von einem Neonazi, nicht von einem Vertreter eines EU-Landes erwartet. Offenkundig weiß Kurz nicht, wie groß Lampedusa ist. Er vergisst, dass hier 6.000 Einwohner leben, die sich als Europäer fühlen", sagte Martello nach Angaben der italienischen Nachrichtenagentur ANSA: "Aus Kurz' Worten entnehme ich, dass er nicht weiß, wie Landungen von Flüchtlingsschiffen erfolgen und wie Migranten behandelt werden, die auf Lampedusa eintreffen. Er weiß nicht, welchen Einsatz diese Insel und ihre Einwohner für die Versorgung der Migranten leistet", so Martello.
Der am 11. Juni gewählte Martello hatte die Kommunalwahl gegen die Bürgermeisterin der süditalienischen Insel, Giuseppina Nicolini, gewonnen, die wegen ihres Einsatzes für Flüchtlinge im April mit dem UNESCO-Friedenspreis ausgezeichnet worden war. Nicolini verfehlte überraschend die Wiederwahl.
Treffen mit Alfano
Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat bei seinem italienischen Amtskollegen Angelino Alfano darauf gepocht, illegal in Italien via Mittelmeer eingetroffene Migranten nicht mehr von Inseln auf das Festland zu lassen. Nach einem Treffen mit Alfano am Donnerstag in Wien warnte Kurz vor Journalisten vor einer immer größeren "Überforderung" in Mitteleuropa, zu der es ansonsten kommen könne.
Er habe Alfano gesagt, dass "wir uns erwarten, dass der Fährenverkehr für illegale Migranten zwischen den italienischen Inseln wie Lampedusa und dem italienischen Festland eingestellt wird, denn wenn Menschen nach der Rettung von den Inseln möglichst schnell auf das Festland gebracht werden und dann weiterziehen in Richtung Norden, wird nicht nur die Überforderung in Mitteleuropa immer größer, sondern das führt dazu, dass sich immer mehr auf den Weg machen, die Schlepper immer mehr verdienen und immer mehr (Flüchtlinge und Migranten, Anm.) ertrinken", sagte Kurz.
Kurz an Italien: Illegale Migranten nicht aufs Festland lassen
Stopp
Kurz will Flüchtlinge und Migranten nahe an den EU-Außengrenzen stoppen, sie dort versorgen und "zurückstellen". "Die Rettung im Mittelmeer darf nicht verbunden sein mit einem Ticket nach Mitteleuropa", betonte er einmal mehr. Der Außenminister fügte hinzu, dass er mit Alfano in Sachen Stopp des Fährenverkehrs "noch nicht einer Meinung" sei. Das Gesprächsklima mit seinem Amtskollegen bezeichnete er nach neuerlichen Spannungen zwischen Wien und Rom in der Flüchtlingspolitik in den vergangenen Tage als "ordentlich". Alfano habe auch eingeräumt, dass ein "Weiterwinken die Probleme nicht kleiner macht, sondern größer".
Kurz betonte, dass nach wie vor Vorbereitungsmaßnahmen vonseiten Innen- und Vereidigungsministerium im Gange seien, um gegebenenfalls die Brenner-Grenze zu schließen. Derzeit funktioniere die Kooperation mit den italienischen Behörden, aber "wenn sich Italien entschließt, immer mehr Menschen nach Norden weiterzuwinken, dann werden wir unsere Grenzen schützen." Lob gab es von Kurz für den von Italien geplanten Verhaltenskodex für NGOs, die Flüchtlinge und Migranten aus dem Mittelmeer retten.
Nach Angaben der Regierung in Rom retteten NGO-Schiffe 34 Prozent aller Migranten, die heuer nach Italien gebracht wurden. Der italienische Innenminister Marco plant für kommende Woche ein Treffen mit Vertretern der einschlägigen Nichtregierungsorganisationen zu dem elf Punkte umfassenden Verhaltenskodex. Bei Verstößen soll die Einfahrt in italienische Häfen verweigert werden.
Trotz anhaltender Flüchtlings-Ankünfte ist Italien laut der Regierung in Rom nicht mit einem Flüchtlingsnotstand konfrontiert. Die Bedingungen, um in Italien wegen der massiven Flüchtlingsankünfte einen "humanitären Notstand" auszurufen, wie es Rechtsparteien fordern, seien nicht vorhanden, sagte der italienische Innenminister Marco Minniti vor dem Parlament.
Angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingsankünften arbeite das Innenministerium an einer Aufstockung bei den Unterkünften für Migranten. Minniti klagte, dass lediglich 3.100 von rund 8.000 Gemeinden in Italien Flüchtlinge aufgenommen hätten. Der Innenminister bemüht sich um eine Verteilung der Migranten auch auf kleinere Gemeinden, um eine Konzentration von Flüchtlingseinrichtungen in den größeren Städten zu vermeiden. Minniti berichtete, dass sich Italien verstärkt um die Ausweisung von Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung bemühe.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen erwartet sich unterdessen angesichts der schwierigen Lage für Italien in der Flüchtlingskrise von der EU ein schnelles Handeln. "Die Situation ist zwar noch nicht akut alarmierend, aber die Union wird nicht auf Dauer zuschauen können", sagte Van der Bellen den "Vorarlberger Nachrichten" (Donnerstagausgabe). Die EU müsste noch heuer Schritte setzen. "(...) wir müssen Geld in die Hand nehmen, uns um die Situation in Libyen kümmern und mit den Regierungen in den afrikanischen Ländern verhandeln." Italien werde "schon entsprechend Druck machen".
Außenminister Alfano hielt sich am Donnerstag hauptsächlich ihn Wien auf, um die Prioritäten des italienischen Vorsitzes in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im Jahr 2018 vorzustellen. Er stand den Journalisten bei seinem Besuch nicht für Fragen zur Verfügung.
Italien will bei seinem OSZE-Vorsitz im kommenden Jahr "den Fokus (...) auch auf die Mittelmeerregion ausrichten", erklärte Alfano in einer Rede vor der in Wien ansässigen OSZE. Dabei gehe es nicht nur um die Themen Terrorbekämpfung und Migration. Es gehe nicht nur um Bedrohungen, sondern auch Chancen der Mittelmeerregion. So will Italien im Rahmen der OSZE nach den Worten Alfanos auch Toleranz und den interreligiösen und interkulturellen Dialog fördern. Zum Thema Mittelmeer-Region werde es Ende Oktober 2018 in Palermo eine eigene OSZE-Konferenz geben. Sicherheit und Stabilität in der Mittelmeerregion seien "ergänzend" zu Sicherheit und Stabilität in Eurasien zu sehen, betonte Alfano.
Ansonsten wolle der italienische OSZE-Vorsitz - derzeit hat ihn Österreich inne - "ambitiös, aber realistisch" sein. So will sich Rom für die Lösung des Ukraine-Konflikts und anderer Konflikte im Ex-Sowjetraum in den "bestehenden Formaten" einsetzen. Die OSZE-Beobachtermission in der Ukraine müsse "in vollem Umfang und in Sicherheit" ihr Mandat erfüllen können. Alfano rief die OSZE-Mitglieder zu einem "konstruktiven Geist" auf; der "wirkliche Geist" der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von Helsinki 1975 während des Kalten Krieges, aus der die OSZE hervorging, müsse wiedergefunden werden. Das Vorsitzland könne sich nicht über den Willen der Mitgliedstaaten stellen, rief Alfano zur Zusammenarbeit auf.