Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat am Mittwoch klargestellt, dass Österreich derzeit keine Grenzkontrollen am Brenner durchführen wird und auch kein Einsatz des Bundesheeres unmittelbar bevorsteht. Gegenüber der Kleinen Zeitung erklärte Kern: "Österreich handelt im europäischen Einklang und setzt sich nicht über die Regeln hinweg. Es wird keinen Sonderweg geben."

Derzeit gebe es keine Truppen und kein militärisches Gerät am Brenner. Österreich habe nur für einen möglichen Bedarfsfall einen Notfallplan beschlossen.Das Flüchtlingsproblem könne Europa nur gemeinsam lösen. Italien mache tolle Arbeit und habe die Situation gut im Griff. "Wir werden Italien jetzt nicht in den Rücken fallen."

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil hatte am Vortag in der Kronen Zeitung noch anders geklungen. Da hatte der SPÖ-Minister verkündet, dass unmittelbar nach Eintreffen der alarmierenden Nachrichten aus den italienischen Flüchtlingsregionen die ersten Planungen und Vorbereitungen angelaufen seien. So seien für den Einsatz zur Grenzsicherung insgesamt 750 Soldaten verfügbar:  450 Soldaten vom Jägerbataillon und der Militärpolizei vom Militärkommando Tirol, 300 Soldaten aus Kärnten.  Die militärischen Kräfte zum Einsatz an der Südgrenze Österreichs zu Italien seien "im Fall einer Alarmierung durch die entsprechenden Aufklärungsdienste binnen 72 Stunden voll einsatzfähig". Teile der Truppe könnten bereits deutlich früher an ihrem Einsatzort eintreffen. Bereits am Sonntag hat das Verteidigungsministerium erstes schweres Gerät nach Tirol verlegen lassen, darunter auch vier Pandur- Radpanzer zum Absperren von Straßen im Grenzgebiet auf dem Brenner.

Solidarität mit Italien

Kern versicherte, dass sich trotz der hohen Zahl an Flüchtlingen in Italien in den letzten Wochen die Zahl der Aufgriffe in Österreich kaum verändert habe. Dies zeige die exzellente Arbeit der italienischen Behörden und die gute Kooperation mit Italien. Es gebe derzeit keine Anzeichen, dass die italienischen Behörden die Situation nicht im Griff hätten. Italien brauche aber jetzt die europäische Solidarität. Daran werde Österreich sich auch beteiligen und sich an der Konferenz der Innenminister morgen konstruktiv einbringen.

Brüssel und Rom waren nach dem verbalen Wetteifern österreicher Politiker in Bezug auf den Aufmarsch an der Grenze offensichtlich auf der Palme. Es bedurfte hektischer Telefonate mit Jean-Claude Juncker, Mogherini und dem italienischen Regierungschef Paolo Gentiloni, um die Wogen zu glätten, wie die Kleine Zeitung aus inoffiziellen Kreisen erfuhr.

Kern betonte, dass sich eine Situation wie 2015, als tausende Flüchtlinge unkontrolliert die Grenzen passierten, nicht wiederholen dürfe. Deshalb müsse sich Österreich vorbereiten und habe nun diesen Notfallplan beschlossen. Für den Fall, dass dann tatsächlich Grenzkontrollen notwendig werden sollten, würde sich Österreich sowohl mit Europa als auch mit Italien abstimmen, versicherte der Bundeskanzler. Derzeit gebe es dafür aber keine Anzeichen.

Missverständnisse ausgeräumt

Der Bundeskanzler versicherte , dass er in einem Gespräch mit seinem italienischen Amtskollegen Paolo Gentiloni Missverständnisse ausgeräumt habe. Er habe ausführlich erklärt, was ein Assistenzeinsatz des Bundesheeres bedeute und dass dieser nur zur Unterstützung der Polizei diene. Kern geht davon aus, dass dies sowohl in Italien als auch in Brüssel nun so verstanden werde und die Aufregung vom Dienstag keine Fortsetzung findet.

Wann dieser Notfallplan tatsächlich umgesetzt werden könnte, darüber wollte Kern nicht spekulieren. Er erwartet aber vom Innenminister und vom Verteidigungsminister, dass für den Ernstfall Vorbereitungen getroffen werden. Derzeit funktioniere die Zusammenarbeit mit Italien sehr gut, betonte der Bundeskanzler auch an dieser Stelle und unterstrich: Es würden keine Panzer am Brenner auffahren.

Auch Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) reist am morgigen Donnerstag nach Rom, um gemeinsam mit seinem italienischen und zahlreichen weiteren Amtskollegen über die Flüchtlingsproblematik zu beraten. Der Außenminister will laut Aussendung bei der Konferenz auch einen finanziellen Beitrag Österreichs zum Afrika Trust Fonds der EU ankündigen, um die Hilfe vor Ort zu stärken.

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) hatte die Notwendigkeit für den Notfallplan damit begründet, dass der Zustrom an Flüchtlingen über das Mittelmeer in Italien gegenüber dem Vorjahr um 20 bis 25 Prozent zugenommen habe.

"Unerträgliche Politshow"

Die Absicht seitens Österreichs, im Fall einer Verschärfung der Flüchtlingskrise 750 Soldaten zur Verstärkung der Grenzkontrollen an die Brenner-Grenze zu entsenden, stößt auch in Bayern auf Kritik. Der CSU-Politiker Bernd Posselt sprach von "schikanösen Grenzkontrollen".

Posselt, Präsident der überparteilichen Paneuropa-Union Deutschland, sprach von einer "unerträglichen Polit-Show" durch die Entsendung österreichischer Panzer an den Brenner. Es gehöre zu den größten europäischen Errungenschaften, dass es zwischen Bayern und den beiden Tirols keine schikanösen Grenzkontrollen mehr gebe. Außerdem könne man das Flüchtlingsproblem nicht dadurch lösen, dass man diese Menschen einfach über Südtirol und die anderen italienischen Regionen verteile und sich vor substanziellen Hilfestellungen für Rom drücke. Mit Panzern und Schlagbäumen könne man vielleicht martialische Fernsehbilder erzeugen, aber kein einziges Problem wirklich lösen.

Die Grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek forderte Kanzler Christian Kern auf, den Verteidigungsminister zurückzupfeifen."Wer Tirol mit Zäunen und Panzern wieder trennen will, hat aus den vor allem für die Tirolerinnen und Tirolern bitteren Erfahrungen des vorigen Jahrhunderts nichts gelernt."