Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) hat sich erstmals offiziell zu Berichten geäußert, er habe die Forderung von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP), die Mittelmeerroute zu schließen, als "populistischen Vollholler" bezeichnet. "Die Herausforderung der Migration lässt sich nicht mit gut klingenden Parolen lösen, Forderungen an die EU sind Forderungen an uns selbst", twitterte Kern am Samstag.
ÖVP-Politiker hatten empört auf die angeblichen Aussagen Kerns reagiert, die in einem Hintergrundgespräch mit Journalisten gefallen sein sollen. Einer der Teilnehmer des Gesprächs, "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk, veröffentlichte am Samstag auf Facebook ein Transkript der fraglichen Passage, versehen mit dem Zusatz "Veröffentlichung mit Zustimmung des Büro Kern". Der Kanzler selbst verbreitete Klenks Eintrag über Twitter.
Kern äußerte sich demnach auf den Einwurf eines "Presse"-Journalisten, wonach für eine nachhaltige Lösung des (Flüchtlings-)Problems die Mittelmeer-Route geschlossen werden müsste. "Das ist ehrlich gesagt - das ist der nächste populistische - Sie streichen das Wort, das ist feiertägliche Aussprache - der nächste populistische Vollholler", sagte Kern. Er führte dann ausführlich aus, welche Probleme für die Schließung der Mittelmeerroute zu überwinden wären und verband dies mit einem Seitenhieb auf die Steuerreform-Ankündigungen des ÖVP-Chefs: "Ich bin dafür, dass wir die Mittelmeerroute schließen, ich bin für Freibier für alle und die Lohn- und Einkommenssteuer halbieren - wenn wir wissen, wie wir das funktionierend hinkriegen."
Für die Schließung der Mittelmeerroute brauche es geordnete Verfahren mit Quoten für reguläre Migration sowie Investitionen in die Entwicklung der betroffenen Regionen. "Dann reden wir über eine Summe, realistisch betrachtet, wo man, wenn man sagt 'Mittelmeerroute schließen', auch dem österreichischen Steuerzahler sagen muss, was das kostet." Kern verwies diesbezüglich auch auf den ägyptischen Präsidenten, der gesagt habe "Ihr könnt uns soviel gar nicht zahlen", sowie auf Befürchtungen, wonach die Unterbringung von 500.000 Menschen "zur nächsten terroristischen Blut- und Keimzelle" werden oder die Länder der Region destabilisieren könnte.
"Ich bin nicht gegen die Mittelmeerrouten-Schließung. Ich will nur eine Antwort haben, wie es geht. Das ist mein Punkt", betonte Kern. "Wir brauchen nicht Presseaussendungen, sondern wir brauchen Lösungen für die Sache."
Auslöser der Debatte war ein für das globale Nachrichtenagentur-Rechercheprojekt "MINDS Global Spotlight" geführte APA-Interview des Außenministers, das auch international große Wellen geschlagen hatte. Insbesondere deutsche Medien hatten intensiv über Aussagen von Kurz berichtet, er wolle die Mittelmeerroute komplett schließen. Der Außenminister teilte am Dienstag einen Bericht der Tageszeitung "Die Welt" auf seinem Twitter-Account. Die Berliner Zeitung, die den ÖVP-Chef erst kürzlich als "Europas Retter" in der Flüchtlingskrise bezeichnet hatte, recherchierte aber nach und bilanzierte in einem am Donnerstag veröffentlichten Artikel zum Kurz-Vorschlag: "Leichter gesagt als getan." Kurz kenne sich in der Frage "eigentlich" aus, habe er doch die Schließung der Balkan-Flüchtlingsroute durchgesetzt. "Die Situation auf dem Mittelmeer ist aber mit jener in Südosteuropa kaum zu vergleichen."