Auch wenn die ÖVP ihre Vorzugsstimmenhürde halbiert - auf Bundes- und Landesebene bleibt sie schwer erreichbar. Das zeigt der Vergleich mit 2013: Selbst Sebastian Kurz hätte auf der Bundesliste damals kein Vorzugsstimmenmandat geschafft. Zwei ÖVP-Frauen wären mit den neuen Regeln aber um ihr Direktmandat umgefallen. Ex-Klubdirektor Werner Zögernitz erwartet durch das neue System jedenfalls mehr Dynamik.
Mit "Vorzugsstimmen" können die Wähler neben der Partei auch ihren Wunschkandidaten wählen und - entsprechend viele Stimmen vorausgesetzt - direkt ins Parlament schicken. Zumindest theoretisch. Denn bei der Nationalratswahl 2013 schafften zwar 22 ÖVP-Kandidaten den Sprung über die Vorzugsstimmenhürde. Fast alle hätten ihr Mandat aber auch ohne Persönlichkeitswahlkampf erhalten, weil sie von vornherein an wählbarer Stelle standen (in der Regel als Listenerste in einem Regionalwahlkreis).
Persönlichkeitswahlkampf führt selten ins Parlament
Im aktuellen Nationalrat verdankt nur eine einzige Abgeordnete ihr Mandat einem erfolgreichen Persönlichkeitswahlkampf: die niederösterreichischen Landwirtin Martina Diesner-Wais. Mit 8.902 Vorzugsstimmen schaffte sie im Wahlkreis 3B (Waldviertel) vom dritten Listenplatz aus ein Direktmandat und stach damit den zweitgereihten Steuerberater Werner Groiss aus, der es über die ÖVP-Landesliste aber trotzdem ins Parlament schaffte.
Für die Wahl am 15. Oktober hat die ÖVP die Vorzugsstimmenhürden nun halbiert: Im Regionalwahlkreis reichen nun schon sieben Prozent der Parteistimmen für eine Vorreihung, auf Landesebene fünf und auf der Bundesliste 3,5 Prozent. Wie hoch diese Hürden in der Praxis immer noch sind, zeigt allerdings das Beispiel Kurz: Er schaffte 2013 zwar 35.728 Vorzugsstimmen - um 10.000 mehr als Spitzenkandidat Michael Spindelegger und mehr als jeder andere Schwarze. Trotzdem waren das nicht einmal 3,2 Prozent der ÖVP-Stimmen - zu wenig für ein Vorzugsstimmenmandat, auch nach den neuen Regeln.
Leichter zu erreichen scheint das Ziel dagegen in Regionalwahlkreisen. Hätte es die neuen Regeln der ÖVP schon 2013 gegeben, hätte das Claudia Durchschlag (Wahlkreis 4A - Linz Umgebung) und Beatrix Karl (Wahlkreis 6A - Graz Umgebung) ihre Direktmandate gekostet. Sie wären von zwei nach ihnen gereihten Männern überholt worden. Ins Parlament gekommen wären beide aber trotzdem, weil über die Landesliste "abgesichert".
Der frühere ÖVP-Klubdirektor Werner Zögernitz warnt freilich vor allzu direkten Vergleichen zwischen 2013 und heuer. Er geht nämlich davon aus, dass die niedrigeren Hürden den internen Konkurrenzkampf der Kandidaten beflügeln werden - und zwar gerade in Regionalwahlkreisen. "Wenn jetzt eine Halbierung eintritt, kommt es zu einer ganz anderen Polarisierung. Es entsteht eine neue Dynamik", so Zögernitz gegenüber der APA.
Dass alteingesessene (männliche) Kandidaten gut organisierter Bünde junge (weibliche) Kandidatinnen ausstechen könnten, befürchtet er nicht. Wenn die Zahl der Vorzugsstimmen steige, dann würden die Bünde keine so große Rolle mehr spielen, glaubt Zögernitz: "Wenn wenige hingehen, sind die Bünde wichtig. Wenn viele hingehen und stark motivieren, dann hat ein Bund keine Chance." Und außerdem sei ja auch nicht gesagt, dass Bauern zwangsläufig männlich sein müssten, so Zögernitz mit Verweis auf das Beispiel der Kärntnerin Elisabeth Köstinger bei der EU-Wahl.