Die SPÖ hat heute ein neues Kapitel in ihrer Geschichte aufgemacht. Nach 30 Jahren wird die „Vranitzky-Doktrin“, die jegliche Koalition mit den Freiheitlichen verbietet, beerdigt, eine entsprechende Entscheidung fiel am Nachmittag im Parteivorstand und Parteipräsidium. Die Basis dafür liefert ein sieben Punkte umfassender, eher allgemein gehaltener, von Kärntens SPÖ-Chef Peter Kaiser verfasster Kriterienkatalog, in dem vom künftigen Koalitionspartner ein Bekenntnis zu Österreich, den Menschenrechten , der EU, der sozialen Sicherheit, der Gleichheit der Geschlechter, aber auch zur Freiheit der Kunst abverlangt wird. Dazu kommen sieben inhaltliche Koalitionsbedingungen.
"Wir lehnen die FPÖ nicht mehr pauschal ab", erklärte SPÖ-Chef Christian Kern im kleinen Kreis mit Journalisten am Dienstag abends im Kanzleramt. "Die bisherige Position hat uns erpressbar gemacht. Uns wurden Kompromisse abverlangt, die wir nicht wollten." Die FPÖ sei eine "Partei, die grundsätzlich infrage kommt." Ob die SPÖ nach den Wahlen am 15. Oktober tatsächlich eine Koalition mit der FPÖ eingeht, soll allerdings von der Parteibasis im Zuge einer Urabstimmung fixiert werden.
Kern deutete im Gespräch an, dass jene Partei, die bei der Wahl auf Platz ein landet, den Regierungsauftrag erhalten dürfte. Landet die SPÖ auf Platz zwei, würde sie in Opposition gehen. Auf die Frage, ob er die Oppositionsbank drücken oder wieder in die Wirtschaft wechseln würde, meinte der SPÖ-Chef: "Ich bin keiner, der davonlauft."
SPÖ-Vorstand beschloss Koalitionsbedingungen und Urabstimmung
Erbschaftssteuer als Koalitionsbedingung
Die SPÖ hat in ihrer heutigen Sitzungen sieben konkrete Koalitionsbedingungen formuliert, darunter die Einführung einer Erbschaftssteuer ab einer Million Euro (zur Finanzierung der Abschaffung des Pflegeregresses), die Einstellung von 5000 zusätzlichen Lehrern und 2500 Polizisten, eine Gratiskinderbetreuung ab dem 1. Lebensjahr, eine Entlastung des Faktors Arbeit um drei Milliarden Euro, ein Mindestlohn von 1500 Euro sowie eine Volksbefragung über eine Verwaltungsreform. Laut Kern reiche es, wenn "sechs von sieben Bedingungen" durchgesetzt sind.
Reaktionen vor der Sitzung
Vor der Sitzung gaben sich die eintreffenden Parteigranden gegenüber der APA betont unaufgeregt. Tenor: es gehe nicht um eine Festlegung Richtung FPÖ, sondern allgemein um Kriterien für künftige Koalitionen. Infrastrukturminister Jörg Leichtfried betonte, jetzt werde der Kriterienkatalog beschlossen, mit diesem gebe es dann eine einheitliche Linie, die auch von allen mitgetragen werden solle. Auch Gewerkschaftschef Erich Foglar meinte, es gehe jetzt in der Sitzung nicht um die Frage einer FPÖ-Koalition.
Wiens Bürgermeister Michael Häupl erinnerte an den gültigen Bundesparteitagsbeschluss, wonach die SPÖ nicht mit der FPÖ koaliere. Der Wiener Bürgermeister kündigte an, dass er sich vor der Wahl nicht mehr zur Frage einer FPÖ-Koalition äußern werde: "Das ist nicht gut für uns und daher lass ich das." .
Weniger Berührungsängste zeigte der steirische SPÖ-Chef Michael Schickhofer: "Wir werden nach der Wahl mit allen Parteien reden, Gespräche führen und verhandeln." Es gehe darum, den "Plan A" umzusetzen. Aber: "Unter allen Bedingungen mit der FPÖ zusammenzuarbeiten, wird's sicher nicht spielen." Wichtig sei, dass es eine Urabstimmung über jegliche Koalition gebe.
Es gehe heute nicht um Koalitionsfragen, sondern um Grundwerte, meinte Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil für die burgenländische SPÖ, die ja mit den Freiheitlichen auf Landesebene eine Regierung bildet. Die Koalitionsfrage werde heute nicht beantwortet werden, da sei erst der Wähler am Wort. Bezüglich des aufrechten Parteitagsbeschlusses gegen die FPÖ gab sich Doskozil pragmatisch: "Auch wenn es Gesetze gibt, können Gesetze wieder aufgehoben werden."