Herr Bundeskanzler, seit Wochen scheuen Sie sich zu sagen, ob für die SPÖ eine Koalition mit der FPÖ möglich ist oder nicht.
CHRISTIAN KERN: Das ist doch alles ein Ablenkungsmanöver.
Von Ihnen?
Nein, das ist ein völlig unrealistisches Konzept, weil ohnehin etwas ganz anderes vorbereitet wird. Es läuft auf Schwarz-Blau hinaus. Wenn man sich die Schnittflächen zwischen ÖVP und FPÖ anschaut, sind diese immens groß.
Dann wären Sie nicht lange Kanzler gewesen.
Das werden die Wähler entscheiden. Ich bin voller Optimismus.
Sie scheuen sich weiter, Position zu Rot-Blau zu beziehen?
Nein, aber ich lasse mich nicht von Tagesaktualität treiben. Das ist eine Frage, die jetzt noch nicht beantwortet werden kann. Wir hatten bisher eine ganz klare Position, die vom Burgenland aufgeweicht wurde. Wenn wir Beschlüsse ernst nehmen, brauchen wir also neue Beschlüsse für Bund, Länder, Gemeinden. Aus diesem Grund kam die Idee mit dem Kriterienkatalog. Nach der Wahl werden wir sehen, wer mit unseren Punkten mitgeht. So einfach ist das.
Würde es die SPÖ bei Rot-Blau nicht zerreißen?
Wenn ein Partner mit uns ein soziales Modernisierungsprogramm umsetzt, würde es niemanden zerreißen.
Aber kann es Rot-Blau mit Christian Kern geben?
Das ist eine Frage, die zu früh gestellt wird. Das werden wir nach dem Wahltag beantworten können. Da geht es darum, wer sich zu unseren Vorschlägen bekennen kann. Das ist ja keine Lex FPÖ, sondern gilt für alle. Wir werden unsere Prinzipien für den Machterhalt nicht über Bord werfen.
Im Sozialen wie beim Mindestlohn gibt es aber weit größere Gemeinsamkeiten zwischen SPÖ und FPÖ. Was sagen Sie denn zur Warnung, dass bei einer rot-blauen Regierung das Geld abgeschafft wäre?
Beim Mindestlohn stimmt die Schnittfläche, bei der Mindestsicherung schon nicht mehr. Jene, die sagen, das Geld wäre dann abgeschafft, sind genau die, die jetzt weismachen wollen, dass es eine Ausgabenorgie geben wird bis zur Wahl. Das sind alles Ablenkungsmanöver. Die ÖVP ist seit 31 Jahren in der Regierung und verteidigt kleinteilige Lobbyinteressen. Was wir brauchen, ist eine radikale Änderung der politischen Kultur. Und es braucht von beiden Seiten einen Ruck.
Sie meinen auch sich selbst?
Keine Frage, auch wir haben beigetragen, dass die Emotionen in die Höhe gingen. Aber so wie jetzt kann es nicht mehr weitergehen.
Die Haltung der SPÖ und jene der FPÖ zu Europa wären für Sie vereinbar?
Das geht ganz schwer zusammen. Wir stehen zu Europa und mit dem französischen Staatspräsidenten Macron sehe ich nun auch die Möglichkeit, dass wir Europa wieder zu einem Sehnsuchtsprojekt der Jungen machen.
Sie haben Ihre Reise zu EU-Kommissionspräsident Juncker abgesagt und sind heute bei Magna. Es geht um den Beschäftigungsbonus, der weiter in der Luft hängt. Geht jetzt wirklich gar nichts mehr bis zur Wahl?
Magna ist Hauptnutznießer dieser Maßnahme. Sie nehmen 3000 Leute auf, für die diese Maßnahme mit der Förderung der Lohnnebenkosten für drei Jahre für neu eingestellte Arbeitnehmer auch gedacht war. Wenn die ÖVP nun am Montag um 16.30 Uhr eine sogenannte Pränotifikation dazu fordert, bedeutet dies eine weitere Verzögerung um mehrere Monate. Und das, obwohl alle Expertenrunden bereits gemacht wurden und die Betriebe darauf warten, neue Leute einzustellen.
Österreichs Universitäten warten ebenfalls auf 1,3 Milliarden, die ihnen von der Regierung zugesichert wurden und die nun wieder in der Luft hängen.
Wir haben mit Reinhold Mitterlehner diese 1,3 Milliarden Euro ausgemacht und diese sind von uns aus auf Punkt und Beistrich einzuhalten. Das Dilemma ist, dass alles, was wir jetzt sagen, Makulatur ist, wenn der Finanzminister keinen Finanzrahmen gibt. Das Budget wird ohnehin nach der Wahl gemacht und dann hupft – wie man in Wien sagt – der Aff ins Wasser. Vorher ist jede Zusage nur eine Willenserklärung, die man nach der Wahl mit Leben füllen muss.
Vor manchen dieser Zusagen, die nach der Wahl der Steuerzahler zu bezahlen hat, fürchten sich die Österreicher.
Nein, nicht die Österreicher, das ist das Täuschungsmanöver der ÖVP. Wir haben ein Regierungsprogramm mit dem Beschäftigungsbonus, mit der Aktion 2000 beschlossen, und jetzt wird erklärt, alles würde zusätzliche Milliarden kosten. Matthias Strolz hat einen Pakt der Verantwortung vorgelegt, nach dem nichts außerhalb des Regierungsprogramms beschlossen werden darf, das mit nachhaltigen Kosten verbunden ist. Diesen Pakt haben zwei Leute unterschrieben: Strolz und meine Wenigkeit. Ich will Reformen, die nichts kosten, sondern Geld sparen.
Bei der Beendigung der Förderung von Biogas waren Sie sich doch mit der ÖVP schon einig, oder?
Sie zahlen für eine Kilowattstunde Strom aus Biogas 18 Cent, bei Wasser ist es nicht einmal die Hälfte. Der erste Vorschlag der neuen Volkspartei, die jetzt türkis und nicht mehr schwarz ist, war eine Verdoppelung der Biogasförderung. Das ist das Gegenteil, was wir mit Mitterlehner ausgemacht haben. Die ÖVP will 500 Millionen Euro für 250 landwirtschaftliche Großbetriebe. Das zum Thema neue ÖVP.