Frau Duzdar, Sie sind der Meinung, dass das Kopftuchurteil des Europäischen Gerichtshofes das Neutralitätsgebot bestätigt. Dudu Kücükgöl, Islam-Forscherin und Feministin in Wien, sieht das anders. Sie sagt, es gibt keine Neutralität. Das Urteil richte sich nur gegen muslimische Frauen, die aus religiösen Gründen das Kopftuch tragen und nicht mehr sichtbar sein sollen. Können Sie das nachvollziehen?
Muna Duzdar: Nein, kann ich nicht. Für mich ist das EuGH-Urteil ein Urteil für Religionsneutralität. Der Dienstgeber hat die Option, Neutralität am Arbeitsplatz einzufordern, indem er das Tragen von religiösen, politischen, weltanschaulichen Zeichen untersagt. Das ist eben nicht nur auf eine Religion bezogen, es muss eine Unternehmensvorschrift sein, die sich an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richtet. Alles andere wäre diskriminierend.
Aber ist das nicht nur sehr vordergründig „nicht diskriminierend“? Der Jurist und Journalist Heribert Prantl kommentiert in der „Süddeutschen Zeitung“, es ist ein im Gegenteil nicht ein Urteil für die Religionsfreiheit sondern eines für die unternehmerische Freiheit, denn das Kopftuch habe Bekenntniskraft und die EuGH-Richter akzeptieren es, dass diese Bekenntniskraft als Störung empfunden wird.
Duzdar: Für mich ist das eine Wahlfreiheit für die Unternehmerinnen und Unternehmer in der Privatwirtschaft. Sie können sich für die Neutralität der Bekleidung, aber auch anders entscheiden. Das ist ja jetzt kein Gebot.
Wenn es dieses Recht, ein weltanschaulich neutrales Äußeres einzufordern, für private Unternehmen gibt, kann man es dann dem Staat, also dem Öffentlichen Dienst, verweigern?
Duzdar: Wir sind im Öffentlichen Dienst ja in die gleiche Richtung gegangen. Wir hatten schon vor diesem EuGH-Urteil ein Neutralitätsgebot für bestimmte Berufsgruppen im Öffentlichen Dienst, von denen verlangt wird, dass sie besonders neutral sein müssen, die Richter, die Staatsanwälte und die Exekutive. Diese müssen in besonderem Maße unbefangen, unparteiisch sein, weil sie im Rahmen der Hoheitsverwaltung dem Bürger als Staat gegenübertreten.
Noch einmal zum Thema Religionsfreiheit und Neutralität: Zweifel Sie daran, dass sich das Urteil ausschließlich gegen Kopftuch tragende Musliminnen richtet? Die jüdische Kippa wird im Arbeitsalltag kaum getragen und die Nonnentracht ist praktisch verschwunden.
Duzdar: Ja, aber vielleicht gibt es jemanden, der einen Sikh-Turban tragen will, oder eben doch eine Kippa. Das Urteil gilt ja für alle europäischen Mitgliedsstaaten. Es geht ja darum, das Ganze auf eine sachliche Ebene zu heben, und zu sagen: Worum geht es uns eigentlich? Um Neutralität, um Vorschriften, die sachlich geboten sein müssen, aber nicht diskriminieren dürfen.
Glauben Sie ehrlichen Herzens daran, dass das nicht diskriminierend ist für muslimische Frauen?
Duzdar: Ja. Es ist nicht diskriminierend, unter bestimmten Voraussetzungen, dass nämlich die Unternehmensvorschrift für alle gilt.
Was ist denn das Kopftuch dann für Sie? Ausdruck der persönlichen Religiosität oder Ausdruck der Unterdrückung?
Duzdar: Da sind wir wieder bei der Diskussion, was das Kopftuch ist. Da werden Sie von 20 verschiedenen Menschen 20 verschiedene Meinungen hören. Hier geht es einfach nur darum, dass der Arbeitgeber verlangen darf, dass nach außen hin Neutralität gewahrt wird.
Es gibt ja ganz andere Dinge, die relevanter wären, das Kreuz im Gerichtssaal zum Beispiel, das Nicht-Christen signalisieren könnte, dass Justitia nicht neutral ist. Müsste man konsequenterweise nicht auch die Debatte über die Kreuze in Gerichtssälen und Klassenzimmern neu führen?
Duzdar: Wir haben uns auf das Neutralitätsgebot für bestimmte Berufsgruppen geeinigt.
Das steirische bfi, zumindest im staatlichen Nahbereich, weil überwiegend finanziert durch Fördermittel, ist vorgeprescht und hat bereits ein Kopftuchverbot, natürlich neutral formuliert, erlassen. Finden Sie das gut?
Duzdar: Ich mische mich nicht ein in private Unternehmen, sofern sie sich an die Gesetze halten. Aber da gibt es auch gegenteilige Meinungen, in Wien zum Beispiel, oder in Kärnten. Auch das bfi Österreich hat sich distanziert.
Der EuGH bezieht sich auf Kundenwünsche, keinen einzelnen Kunden, sondern eine Erwartungshaltung, auf die ein Unternehmen reagieren muss. Es wird also festgeschrieben, dass die Erwartungen anderer das Verhalten Dritter, eben insbesondere der Musliminnen, bestimmen dürfen. Ist das nicht eigentlich doch wieder Diskriminierung? Oder könnte man es zumindest so verstehen?
Duzdar: Nein, ich verstehe das nicht so.
Wir haben mit vielen Unternehmen kommuniziert, außer dem steirischen bfi ist kein einziges aufgesprungen und sieht eine Notwendigkeit für solche Vorschriften.
Duzdar: Es muss ja auch keiner.
Daniela Grabovac, Leiterin der steirischen Antidiskriminierungsstelle, zeigte sich uns gegenüber überrascht von der Härte des EuGH-Urteils, das es schwerer machen werde, Kopftuchträgerinnen etwa vor der Kündigung zu bewahren.
Duzdar: Ich finde, dass der EuGH alle Kriterien abgewogen hat und in seiner Argumentation sehr sachlich war.