Der Europäische Gerichtshof lässt ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz zu, wenn andere religiöse Symbole auch verboten sind. Können Sie das nachvollziehen?

Dudu Kücükgöl: Nein, gar nicht. Warum sollten religiöse Symbole verboten sein? Was sagt ein Kopftuch, ein Kleidungsstück über die Handlungsweise von Menschen aus?

Können Sie wenigstens nachvollziehen, dass ein Arbeitgeber überhaupt Kleidungsvorschriften erlassen darf?

Kücükgöl: Ja, aber auch nur eingeschränkt, unabhängig von der Religion, wenn es sachlich begründet ist, durch Hygienevorschriften in einem Krankenhaus zum Beispiel, oder  in einer Bank zum Beispiel, wenn ein seriöser, geschäftlicher Stil erwartet wird.

Aber genau das hat der EuGH doch eigentlich vermeiden wollen, dass nämlich Kundenerwartungen die Vorschriften an die Mitarbeiter bestimmen, wenn es um religiöse Symbole geht.

Kücükgöl: Es wird argumentiert, dass der Arbeitgeber neutral sein muss, aber was ist denn Neutralität in diesem Zusammenhang, wer definiert das?  Mit demselben Argument, nämlich dem Verweis darauf, was die meisten tun, kann man im Iran einen Kopftuchzwang verordnen. Ist das dann „neutral“? Was mich an der Diskussion stört, ist, dass man an der Kleidung die Religion festmacht, es geht doch hier nicht um ein Hakenkreuz oder so etwas, sondern „nur“ um die religiöse Praxis.

Wie würden Sie Neutralität in Zusammenhang mit Kleidung definieren?

Kücükgöl: Es gibt eben keine Neutralität. Wenn ich ein Kopftuchverbot erlasse, mache ich damit nur unsichtbar, dass die hiesige „Neutralität“ eine christlich geprägte ist, ich blende die Vorgeschichte aus. Ich müsste übrigens auch die jüdische Kippa, den Turban verbieten, obwohl  die Männer von ihrer Religion her den Kopf bedecken müssen.  Warum sollte man das tun? Die Menschen sind doch nach ihrem Handeln zu beurteilen, nicht nach ihrer Kleidung oder Religion.

Warum, meinen Sie, hat sich der EuGH auf dieses Minenfeld begeben?

Kücükgöl: Der Europäische Gerichtshof gibt sich den Anschein der Neutralität, aber Anlass sind die Muslime. Es ist ein Freischein für die Verdrängung der muslimischen Frauen vom Arbeitsmarkt. Weltpolitisch interpretiert ist es der „muslim ban“ Europas. Es ist die Sichtbarkeit der Muslime, die stört.

Dann gibt es Ihrer Meinung nach keine Neutralität in dieser Frage?

Kücükgöl: Neutralität im Kleidungsbild gibt es definitiv nicht, weil es diese Neutralität weltanschaulich nicht gibt. Es ist immer eine Person, die die „Neutralität“ definiert.