Vor einem Jahr wurde die Balkan-Fluchtroute geschlossen: ein Erfolg?
SEBASTIAN KURZ: Es war eine notwendige Notmaßnahme. Vor der Schließung wurden 15.000 Menschen täglich über diese Route nach Mitteleuropa weitergewinkt. Ich habe diese Politik von Anfang an abgelehnt. Denn so hätten sich immer mehr Menschen auf den Weg gemacht. Durch die Schließung konnten wir das beenden und den Zustrom nach Österreich massiv reduzieren.

Also doch ein Erfolg?
Es hat funktioniert.

Sie erinnern sich bestimmt an die Bilder gestrandeter Flüchtlinge in Idomeni. Wie geht es einem 29-Jährigen, wenn er sieht, dass auch sein Tun dazu geführt hat?
Die Bilder waren natürlich furchtbar anzusehen, auch für mich. Wir wussten aber, dass es keine Alternative gab, als die Menschen irgendwo zu stoppen. Für jeden, den wir weiterwinken, kommen zwei nach.

Muss man ein harter Hund sein, um so etwas durchzudrücken?
Es geht nicht darum, ein harter Hund zu sein - sondern darum, das zu tun, was richtig ist. Das Weiterwinken führt dazu, dass sich immer mehr auf den Weg machen, immer mehr Menschen ertrinken und Schlepper immer mehr Geld verdienen.

Momentan ist das Geschäft für Schlepper aber gut, weil es kaum legale Einreisemöglichkeiten gibt. Glauben Sie eigentlich noch an eine europäische Lösung?
Vorweg: Es gibt legale Einreisemöglichkeiten, etwa Resettlement-Programme. Ich bin immer noch überzeugt davon, dass es irgendwann eine europäische Lösung geben wird. Aber die wird nicht die unbegrenzte Aufnahme von Menschen in Mitteleuropa sein, sondern ein Schutz der EU-Außengrenzen und mehr Hilfe vor Ort.

In Kroatien wurden Sie kürzlich als „würdiger Nachfolger von Alois Mock“ bejubelt. Der aber wurde weltweit bekannt mit einem Bild, auf dem er den Eisernen Vorhang aufzwickt. Das Abbauen von Grenzen scheint momentan nicht Trend zu sein, Herr Minister.
Ich habe dasselbe Bild vor Augen. Ich finde es sehr spannend, dass Politikern wie mir - die die Situation unter Kontrolle bringen wollen - vorgeworfen wird, Grenzzäune zu errichten. Funktionierende EU-Außengrenzen sind die Basis - dann kann es auch wieder ein Europa ohne Grenzen geben. Das ist sicher auch im Sinne von Alois Mock.

Ist er ein Vorbild für Sie?
Natürlich ist Alois Mock ein großes Vorbild für mich.

Bald kommt der Frühling, dann wird sich das Asylthema wieder verschärfen. Es kommen auch immer mehr Leute über Italien. Wie wird's da weitergehen?
Die Politik, die in Italien verfolgt wird, ist falsch. Wer sich über das Mittelmeer auf den Weg macht, wird nach einem Aufgriff nicht zurückgebracht, sondern aufs Festland nach Italien gebracht. Dann zieht er weiter nach Norden. Und wer glaubt, dass sich die Flüchtlinge von der Balkanroute auf die Südroute verlagert haben, der irrt. Denn über die Südroute kommen nicht Syrer, Afghanen oder Iraker, sondern Menschen aus Afrika.

Wenn sich daran nichts ändert, muss man dann am Brenner etwas unternehmen?
Je mehr Menschen hier weitergewinkt werden, desto eher müssen einzelne Staaten nationale Lösungen suchen.

Etliche afrikanische Staaten - etwa Marokko - weigern sich, abgelehnte Asylwerber zurückzunehmen. Als Außenminister wären Sie auch dafür zuständig, Abkommen auszuhandeln - warum geht da so wenig weiter?
Zum Ersten liegen die Rückführungsabkommen in der Zuständigkeit des Innenministeriums. Zum Zweiten löst ein Abkommen das Problem nicht: Wir können rückführen in Länder, wo es kein Abkommen gibt, haben gleichzeitig Probleme, wo es eines gibt. Es ist ja so: Man muss bei jeder Rückführung mit Papieren die Identität des Betroffenen nachweisen, und diese Papiere gibt es oft nicht.

Was kann man dagegen tun?
Wer einmal da ist, den werden wir schwer wieder rausbekommen. Wer dieses Problem also lösen möchte, muss erstens dafür sein, dass wir diese Menschen gar nicht erst ins Land lassen. Und zweitens, dass wir Illegale in Schubhaft nehmen. Denn die zwangsweise Abschiebung funktioniert leider immer nur mit Zustimmung des betroffenen Staates.

Ich fasse zusammen: Es ist also illusorisch, mit - zum Beispiel - Marokko ein wasserdichtes Rückführungsabkommen auszuhandeln?
Die EU verhandelt das seit zehn Jahren. Der Punkt ist: Ein Abkommen alleine löst eben noch kein Problem.

Sie werden heftig für die geplante Kürzung der Familienbeihilfe für EU-Ausländer kritisiert. Ist das die 100 Millionen Euro pro Jahr wert, die das bringt?
Ich habe schon wesentlich mehr Aufwand betrieben für kleinere Summen. Es ist eine Fehlentwicklung, dass wir Hunderte Millionen Euro für ausländische Kinder bezahlen, die nicht in Österreich leben. Das war sicherlich nicht im Sinne des Erfinders der Niederlassungsfreiheit der EU. Wenn ein Rumäne, der zu Hause zwei Kinder hat, hier arbeitet, ist es nicht zu erklären, warum wir 300 Euro monatlich dorthin überweisen. Das entspricht dort einem Durchschnittseinkommen.

Europarechtlich auch auf eher dünnem Eis ist der geplante Beschäftigungsbonus, der nicht für EU-Ausländer gilt. Hebeln diese nationalen Alleingänge nicht die Solidarität in der EU aus?
Ich bin ein Verfechter eines Europas der Subsidiarität. Sprich: In großen Fragen muss es ein gemeinsames Vorgehen geben. Aber es muss nationalen Handlungsspielraum geben. Fehlentwicklungen bei der Familienbeihilfe oder in der Flüchtlingskrise halte ich für gefährlich. Wenn wir das nicht abstellen, ist das Projekt Europäische Union in Gefahr.

Burgenlands Landeshauptmann nannte den Beschäftigungsbonus „Ausländerbremse“. Brauchen wir so eine denn?
Der Beschäftigungsbonus alleine wird keine Ausländerbremse sein. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir grundsätzlich eine zu hohe Zahl an Einwanderern haben, vor allem aufgrund der Flüchtlingsbewegung.

Ein anderer SPÖ-Mann, Sozialminister Alois Stöger, sagte unlängst, dass man Inländer bevorzugen muss, um den Rechten das Wasser abzugraben. Ist das so?
Ich finde, Politiker sollten das tun, was sie für inhaltlich richtig halten - unabhängig von anderen Parteien. Ich schaue nicht, ob etwas populär oder unpopulär, rechts oder links ist.

Die FPÖ wirft Ihnen vor, dass Sie ihre Pläne kopieren. Wo liegt der Unterschied zwischen Ihren Ideen und jenen der FPÖ?
Die Frage könnte auch anders lauten: Wo ist der Unterschied zwischen mir und den Grünen, zur SPÖ? Das sind alles unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Grundwerten und handelnden Personen. Als Politiker setzt man Maßnahmen, die auch bei anderen Zuspruch auslösen. Also kann es auch Applaus aus der FPÖ-Ecke geben.

Dennoch: Laut etlichen Umfragen strahlen Sie stark in die blaue Wählerschaft hinein. Warum kommen Sie bei denen so gut an?
Ich beschäftige mich nicht sonderlich viel mit Umfragen.

Wann wählen wir, Herr Kurz?
Das weiß ich nicht. Solange ich nichts anderes höre, gehe ich vom regulären Wahltermin aus.

Sie sagten kürzlich, dass Reinhold Mitterlehner der nächste ÖVP-Spitzenkandidat sein wird, wenn er will. Wie schaut's bei Ihnen aus, wollen Sie denn nicht?
Ich fühle mich als Außenminister sehr wohl und ausgelastet.

Der Job des Parteichefs - oder gar des Kanzlers - reizt Sie nicht?
Ich lebe im Hier und Jetzt.