Die jüngste Ankündigung der Türkei, auf politischen Konfrontationskurs mit Österreich zu gehen, ist die vorläufig letzte Episode in den seit beinahe 500 Jahre bestehenden, wechselvollen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Die Türkenbelagerungen, die Rolle der beiden Kriegsmächte im Ersten Weltkrieg und politische Eklats prägen das kollektive Gedächtnis und die Diplomatie bis heute.

In immer kürzeren Abständen eskaliert der Konflikt zwischen den beiden Staaten. Der diplomatische Sprachgebrauch scheint ausgesetzt zu sein. Österreichs Alleingang mit der Forderung, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei einzufrieren und sein Veto gegen eine gemeinsame Erklärung des EU-Ministerrats zur Türkei-Politik hatte Mitte Dezember eine weitere erboste Reaktion der türkischen Regierung zur Folge. Österreich stufte diese als "völlig überzogen" ein.

Österreich als "Bremser"

Österreich gehörte von Anfang an zu den "Bremsern" innerhalb der EU, wenn es um eine Vollmitgliedschaft der Türkei ging. Die Europäische Union hat der Türkei im Oktober 2005 den Status des Beitrittskandidaten zuerkannt. Schon im Vorfeld der Verhandlungen hatte Österreich die Position vertreten, der Türkei solle auch eine Alternative zum Beitritt angeboten werden und hatte zeitweilig eine Einigung zur Kandidatur blockiert. Dieses Vorgehen führte bereits damals zu deutlich unterkühlten diplomatischen Beziehungen zur Türkei.

Elf Jahre später bezichtigte der türkische Europaminister Ömer Celik Österreich der Sabotage an der Europäischen Union. Außenminister Mevlüt Cavusoglu schäumte kürzlich während eines Fernsehinterviews, wenn Österreich nicht höflicher gegenüber der Türkei auftrete, dann werde man alle Vereinbarungen mit der EU aufkündigen, auch den Flüchtlingspakt.

Fehltritt des Chefdiplomaten

Es war nicht der erste Ausritt von Ankaras Chefdiplomat gegen Österreich. Im August bezeichnete Cavusoglu Wien als die "Hauptstadt des radikalen Rassismus". Im September legte er bei einem strategischen Forum in Slowenien nach und warnte, dass der "antitürkische und islamophobe Trend" in der Haltung Österreichs zur Türkei "sehr gefährlich" werden könne.

Im Zuge der intensivierten Spannungen zwischen Wien und Ankara musste das österreichische Archäologenteam im gleichen Monat seine Arbeit in der antiken Westküstenstadt Ephesus einstellen. Im August dieses Jahres wurde wieder einmal der türkische Botschafter aus Wien zurückgerufen, um sich mit Ankara "über die Beziehungen zu Österreich zu beraten". Dieser wurde zuletzt im April 2015 abberufen, nachdem der Österreichische Nationalrat eine Erklärung zum Völkermord an den Armeniern im Jahr 1915 abgab.

Historisch belastet

Die Türkei feiert jährlich im April ihr Andenken an die Schlacht von Gallipoli, den sie als ihren geschichtlichen Wendepunkt inszeniert - unter Auslassung der armenischen und christlichen Opfer. Für die Armenier wiederum ist der 24. April der Tag der Katastrophe, ihre "Nakba", mit der sie der Vertreibung und Ermordung von bis zu 1,5 Millionen Armeniern durch das Osmanische Reich gedenken.

Vor mehr als 100 Jahren waren in der Schlacht bei den Dardanellen und Gallipoli neben über 300.000 Türken auch mehrere Tausend deutsche und österreich-ungarische Soldaten beteiligt. Die fünfte türkische Armee erhielt bei der Verteidigung Gallipolis Unterstützung durch die österreichische Artillerie. Österreich-Ungarn und Deutschland hätten als Bündnispartner im Ersten Weltkrieg über die Vorgänge bei der Vertreibung und Ermordung der Armenier genau Bescheid gewusst, ist sich ein Teil der Historiker einig. Die offizielle türkische Geschichtsschreibung sieht die Türken hingegen immer noch als Opfer radikaler Armenier und leugnet jeglichen Völkermord.

Protest gegen Armenier-Erklärung

Der folgende Protest der Türkei gegen die Armenier-Erklärung des österreichischen Nationalrats warf ein Schlaglicht auf die Wandlung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern:

Österreich mutierte vom ehemaligen christlichen Eroberungsziel zum späteren Waffenbruder Österreich-Ungarn. In der Zeit der Annäherung der Türkei an Europa zog es sich den Zorn der Türken als Bremser bei den EU-Beitrittsgesprächen zu.

Es gibt nur wenige Länder, mit denen Österreich so lange diplomatische Verbindungen hält wie mit der Türkei. Bereits 1554 wurde Ogier Ghislain de Busbecq von Kaiser Ferdinand I. an den Hof des Sultans entsandt. Wie das österreichische Außenministerium im Hinblick auf die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und der Türkei festhält, "kann dies als Datum der Aufnahme diplomatischer Beziehungen gesehen werden". Es waren nur 25 Jahre seit der ersten Türkenbelagerung von Wien durch Süleyman den Prächtigen vergangen.

Im Sommer 1683 erfolgte der zweite Versuch eines osmanischen Herrschers, die Haupt- und Residenzstadt Wien einzunehmen. Unter der Führung des Großwesirs Kara Mustafa belagerte ein bis zu 200.000 Soldaten starkes Heer Wien. Es war das kaiserliche Entsatzheer unter der Führung von Karl V. von Lothringen, das sich mit Einheiten aus dem Heiligen Römischen Reich und den Truppen des polnischen Königs Jan III. Sobieski zusammenschloss und das osmanische Heer zurückschlug.

Eine ständige diplomatische Vertretung Österreichs bestand in Konstantinopel aber erst ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die erste osmanische Botschaft wurde 1791 in Wien als erstem europäischen Land eingerichtet. Am 28. Jänner 1924 hat die Republik Österreich mit der im selben Jahr gegründeten Türkischen Republik einen Freundschaftsvertrag geschlossen. Er signalisierte den Neubeginn der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten, die sich aus der Asche der beiden imperialen Großreiche formierten.

Folge der Türkenbelagerungen

Als Folge der beiden Türkenbelagerungen im 16. und 17. Jahrhundert entstand ein Mythos vom Sieg der Christenheit über die Muslime. Das Scheitern der Osmanen vor den Toren Wiens wird noch heute als Nährboden für Ressentiments und Instrumentalisierungen von beiden Seiten herangezogen.

Erdogan als "Elefant im Porzellanladen"

Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat bei seiner Wahlkampftour durch Europa im Jahr 2014 die in Österreich lebenden Türken und Österreicher mit türkischen Wurzeln als "Kara Mustafa Paschas Enkel und Erben" bezeichnet. Die türkische Zeitung "Cumhuriyet" kritisierte daraufhin den damaligen Auftritt des Premiers scharf. Erdogan habe sich "wie ein Elefant im Porzellanladen" verhalten, indem er in einer der größten Wunden der Türken und der Mitteleuropäer rührte. Die zweite Türkenbelagerung, dieser Kampf der Kulturen, werde immer noch als eines der größten Traumata seit Christi Geburt erlebt und bezeichnet, schrieb das linksnationale Blatt im Juni 2014.

Aber der wahltaktische "Ausrutscher" des Staatspräsidenten war nicht der erste Eklat, den Österreich und die Türkei in der jüngeren Vergangenheit erlebten. Im November 2011 kam es zur frühzeitigen Abberufung des türkischen Botschafters Kadri Ecvet Tezcan. Auslöser war ein umstrittenes Interview Tezcans mit der Tageszeitung "Die Presse", wo er den Österreichern generell Ausländerfeindlichkeit unterstellte. Er forderte die damalige österreichische Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) auf, sie "solle aufhören, in den Integrationsprozess zu intervenieren", weil ihr Ministerium auf Probleme in diesem Bereich nur mit "Polizeilösungen" reagiere. Die Türken wollten "nicht wie ein Virus behandelt werden".

Die Verabschiedung des österreichischen Islamgesetzes im Februar 2015 hat zu einer weiteren diplomatischen Verstimmung zwischen der Türkei und Österreich geführt. Der Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet, Mehmet Görmez, sprach von einem "gewaltigen Fehler" und bezeichnete das Gesetz als diskriminierend und als Rückschritt. Es würde "Österreich um 100 Jahre zurückwerfen", was die Freiheit der Religionen in dem Land betrifft.

Im Zentrum der türkischen Kritik stand das Verbot der Auslandsfinanzierung. Damit durften die 65 türkischen Imame, die von der Religionsbehörde Diyanet bezahlt wurden, ihr Gehalt nicht mehr aus der Türkei beziehen. Der mittlerweile in der Versenkung verschwundene Ex-Premier Ahmet Davutoglu hatte im September 2014 das türkische Religionsamt Diyanet seiner Administration unterstellt, um den Weg für eine "offensivere religiöse Diplomatie" freizumachen. Das Religionsamt erhält seit einigen Jahren eines der größten Etats aus dem jährlichen Staatsbudget der Türkei. Mit dem Schritt wurde nicht nur der Einsatz von Religionsvertretern als Vermittler in den Konfliktherden im Nahen und Mittleren Osten legitimiert. Die Türkei versteht sich insgesamt als die Schutzmacht der europäischen Muslime in Europa. Diyanet soll als ihr Sprachrohr und Interessensvertreter agieren, so die Absicht der Türkei, wobei Görmez der Ausprägung eines "europäischen Islam" eine klare Absage erteilt.

Kurz verwarnt

Außenminister Sebastian Kurz hatte die Türkei im Zuge dieser Entwicklung deutlich verwarnt. Im Interview mit der APA erklärte er damals, das Land entwickle sich seiner Meinung nach in eine gänzlich falsche Richtung. Nach einem massiven Wirtschaftsaufschwung mit Reformen, denen er ausdrücklich Anerkennung zollte, gebe es "leider Gottes seit einigen Jahren eine Entwicklung, die immer weniger mit den europäischen Werten, die uns verbinden, in Einklang zu bringen ist". Es gebe eine politische Entwicklung in der Türkei, "die in vielen Bereichen nicht nur rückschrittlich ist, sondern die einfach überhaupt nicht zu dem passt, was wir in Europa wollen". Die Türkei müsse sich der Konsequenzen bewusst sein. Die Europäische Union sei aufgerufen "alle Kanäle zu nutzen, um der Türkei klar zu machen, dass sie hier die Grundwerte verlässt, die uns in Europa verbinden".

Knapp zwei Jahre nach dieser Warnung werden in der Türkei Spekulationen genährt, dass der seit dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 per Dekret regierende Staatschef Erdogan die Wiedereinführung des Kalifats durchsetzen will. Auch die Todesstrafe ist kein Tabu mehr.

Der lange Arm Ankaras macht selbst bei der Verfolgung seiner Gegner nicht an seinen traditionellen Einflusssphären am Balkan halt. Zuletzt suchte die Türkei offenbar in Österreich intensiv nach Anhängern des Netzwerkes des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen. Der ehemalige Weggefährte Erdogans wird von der Türkei für die Planung des gescheiterten Juli-Putsches verantwortlich gemacht. Ihm würde bei einer Auslieferung in die Türkei die Todesstrafe drohen, sollte diese, legitimiert durch eine Volksabstimmung, wieder gesetzlich verankert werden.

Nicht nur für Österreich, sondern auch für die Europäische Union wäre damit eine "rote Linie" überschritten. Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei würden mit der Wiedereinführung der Todesstrafe Geschichte. Die Verankerung der Türkei nach Europa möglicherweise ebenfalls.