„Es kann nicht sein, dass einige wenige Länder die gesamte Last der gesamten Europäischen Union zu tragen haben“, sagt Franz Fischler, langjähriger EU-Kommissar; im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Dass sich Länder wie etwa die Slowakei, die im gesamten Jahr 2014 insgesamt 14 positive Asylbescheide ausgestellt hat, auf Kosten anderer Staaten schadlos halten, sei „grob unsolidarisch“, sagt Fischler. Wenn man denn auf politischer Ebene wirklich wollte, sagt er, könnte man in der EU relativ rasch eine Lösung des Flüchtlingsdilemmas finden. „Wenn sich aber alle Mitgliedsstaaten selbst am nächsten sind, wird das nicht funktionieren.“

Merkel und Juncker machen Druck

Dieser Meinung ist auch Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. Sie fordert im ZDF-Sommergespräch am Sonntag eine „einheitliche Asylpolitik für ganz Europa“. Die Frage, wie man mit den Flüchtlingsströmen umgeht, sei „das nächste große europäische Projekt“, noch wichtiger als die Griechenland-Krise. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprang ihr bei: Er sei „ermutigt“ von Merkels Vorschlag und wolle noch heuer eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen vorschlagen.

Doch so richtig auf die politische Agenda in Brüssel hat es das Asylthema bislang noch nicht geschafft. Während im Frühsommer ein Griechenland-Sondergipfel den nächsten jagte, blieb das Flüchtlingsthema eher außen vor. „Schlimm“, nennt Fischler diesen Umstand. Und hat eine Erklärung dafür parat: Erstens, sagt der ÖVP-Grande, sei der Ratsvorsitzführer des ersten Halbjahres, Lettland, wohl nicht an einer Änderung der derzeitigen Situation interessiert gewesen. Und dieser bestimme nun einmal die Tagesordnung. Dass die meisten Regierungschefs in der EU ebenfalls wenig Freude mit einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge hätten, sei laut Fischler ebenfalls unübersehbar. Außerdem, sagt er, sei der Europäische Rat, also die Runde der Regierungschefs der Mitgliedsstaaten, seit dem Vertrag von Lissabon aus dem Jahr 2007 „zu stark“ – das werde vor allem dann ein Problem, wenn jeder Regierungschef nur an sein eigenes Land denkt. Ändert sich das nicht, werde man die seit Monaten heftig umstrittene Dublin-Richtlinie nur ganz schwer ändern können, meint der ehemalige Kommissar skeptisch.

KLAUS KNITTELFELDER