Herr Staatssekretär, was hat Sie in den ersten Tagen im Amt am meisten überrascht?

SEBASTIAN KURZ: Ich kenne das politische Geschäft schon länger, seit zwei Jahren auch auf Bundesebene. Was mich doch überrascht, ist, wie sich zum Beispiel die Grünen, von denen ich geglaubt habe, dass sie beim Integrationsthema ernsthaft etwas weiterbringen wollen, darüber aufregen, dass es jetzt ein Integrationsstaatssekretariat gibt.

Aufgeregt hat doch nicht das Staatssekretariat, sondern dessen Besetzung mit Ihrer Person.

KURZ: Ich habe seit sieben Jahren, zwei Jahre davon auf Bundesebene eine Führungsrolle in einer Organisation mit 100.000 Mitgliedern und kenne das politische Geschäft daher durchaus.

Hätte man das Amt nicht jemandem mit Erfahrung im Integrationsbereich überlassen sollen?

KURZ: Mir ist das Integrationsthema immer schon ein Herzensanliegen gewesen, weil es drei große Zukunftsfragen gibt, die wir jungen Leute bewältigen werden müssen: Bildung, Integration, demografische Entwicklung. Wie ist man bisher mit der Integration umgegangen? Mit Träumerei auf der einen Seite und Hetze auf der anderen. Meine große Stärke ist, dass ich unbelastet und mit einem positiven Zugang an die Sache herangehe. Ich bin in Meidling, im 12. Bezirk in Wien, aufgewachsen und habe dort erlebt, wie Integration funktionieren kann. In meiner Klasse hatte die Hälfte der Schüler Migrationshintergrund, die alle ihren Weg machen und Erfolg haben.

Also: Wie funktioniert' s?

KURZ: Der erste Schritt sind Deutschkenntnisse. Wenn man Deutsch kann, gibt es Chancengleichheit, dann kann man eine Ausbildung machen, einen Job ausüben, in Vereinen mitmachen. Ohne Deutschkenntnisse ist es schwierig, vielleicht sogar unmöglich. Dann gleitet man eher in eine Parallelgesellschaft ab. Gerade bei den Jungen kann man es schaffen! Eine ältere Dame, die schon lange in Österreich lebt und nicht Deutsch kann, bei der wird Integration wahrscheinlich nicht mehr funktionieren.

Integration ist keine Einbahnstraße. Besteht Ihr Job nicht auch darin, bei den Alteingesessenen für Integration zu werben?

KURZ: Natürlich, Integration muss immer in beide Richtungen laufen. Es geht darum, zu verbinden.

Wie erklären Sie einem Pensionisten im Gemeindebau, dass eine türkische Familie einzieht?

KURZ: Ich werde das nicht alleine schaffen. Integration funktioniert nur, wenn alle ihren Beitrag leisten, vor allem die politischen Player. Integration spielt in alle Ressorts hinein, ist im Bund, in den Ländern und Gemeinden Thema. Ich werde jemand sein, der zusammenführt und nicht müde wird, das einzufordern.

Fein, aber wie wollen Sie die Leute überzeugen - die mächtigen Landeshauptleute und die mitunter wütenden Bürger?

KURZ: Der erste Schritt ist, dass man abgrenzt: Was ist Integration? Nicht Asyl, nicht Fremdenrecht, nicht Zuwanderung. Integration ist das Fördern eines positiven Zusammenlebens all jener, die legal in Österreich sind und bleiben wollen.

Bedeutet Integration auch Anpassung, Assimilation?

KURZ: Integration heißt, die eigenen Wurzeln nicht vergessen oder leugnen, sich aber auch auf viel Neues einlassen.

Wie sieht die österreichische Leitkultur aus?

KURZ: Ich bin kein Fan des Wortes "Leitkultur", aber wir haben eine starke Kultur, starke Traditionen und ein gefestigtes Wertesystem. Zum Beispiel die Gleichstellung von Mann und Frau: Es gibt noch ein paar Versprengte, die das nicht so sehen, aber grundsätzlich haben wir das in Österreich verwirklicht. Genauso wie die Rechtsordnung muss auch dieses Wertesystem akzeptiert werden.

Man hat den Eindruck, die ÖVP hofft, dass Sie Wähler von der FPÖ zurückgewinnen. Wie stoppt man Heinz-Christian Strache?

KURZ: Ich habe keinen Geheimauftrag von Michael Spindelegger für die nächste Wahl. Im Moment geht es nicht darum, Stimmen zu gewinnen, sondern darum, in der Sache etwas weiterzubringen.

Die anderen Zukunftsthemen sind für Sie demografische Entwicklung und Bildung. Wie motiviert man junge Menschen, Kinder zu bekommen?

KURZ: Ich kann das weder befehlen noch einfordern. Das ist ein höchst privater Bereich, wo sich jeder aussuchen können soll, wie er lebt. Die Politik kann Rahmenbedingungen schaffen: eine Stimmung, dass Kinder gewollt sind, ordentliche Betreuungseinrichtungen, ein gutes Schulsystem, finanzielle Unterstützung.

War es ein Fehler, die Kinderbeihilfe zu kürzen?

KURZ: Es gibt nichts Zukunftsfeindlicheres, als mehr Geld auszugeben, als man hat. Dass auch im Bereich der Familien gespart worden ist, habe ich aber nicht als positiv gesehen.

Gesamtschule?

KURZ: Ein differenziertes Schulsystem ist mir wichtig.

Ganztagsschule?

KURZ: Es gibt einen erhöhten Bedarf an Ganztagsschulplätzen, aber die Möglichkeit zur Wahl muss gewahrt bleiben.

Wenn jemand wie Sie einen Traum lebt, bevor er überhaupt davon träumen konnte, ist das nicht eine große Herausforderung an die Charakterbildung?

KURZ: Ich hatte schon schwierige Zeiten. Privat, es war aber auch herausfordernd, Arbeit, ehrenamtliches Engagement in der Politik und Studium unter einen Hut zu bringen. Ich habe mich oft aufraffen müssen und bei Gegenwind durchhalten - gute Voraussetzungen für die jetzige Rolle.

Sie kommen aus dem früheren Arbeiter-, heutigem Ausländerbezirk Meidling, sprechen und kleiden sich aber, als seien Sie im angrenzenden Schönbrunn aufgewachsen. Wie kommt's?

KURZ: Wie bitte? Ich habe weder Ärzte noch Rechtsanwälte in meiner Familie, keine reichen Eltern, meine Großeltern kommen teilweise aus bäuerlichem Milieu, ich lebe immer noch in Meidling - wenn das der Hintergrund der Frage ist...

Nein, es geht darum, ob Sie als Jugendlicher mit dem braven, adretten Style etwas ausdrücken wollten, so wie andere, die Punks oder Skater sind.

KURZ: Welcher Style? Ich trage ein weißes Hemd, weil ich heute noch Termine mit Beamten im Innenministerium habe. Auf die Uni gehe ich im Kapuzenpulli. Als Schüler war ich eine Zeit lang in jeder freien Minute surfen, da hatte ich längere Haare...

Hatten Sie schon einmal mit der Polizei zu tun?

KURZ: Nur positiv. Sie hat mir bei einem Autounfall und bei einem Wohnungseinbruch geholfen.

Wer ist Ihr politisches Vorbild?

KURZ: Man kann sich von unterschiedlichsten Personen etwas abschauen.

Welches politische Buch hat Sie geprägt? Ihr Lieblingsroman?

KURZ: Ich lese gerne Bücher von Zukunftsforschern.

Welche Musik hören Sie?

KURZ: Bunt gemischt.

Das letzte Konzert?

KURZ: Das ist schon länger her: Muse (britische Alternativerockband, Anm.). Das passt jetzt nicht ins Klischee, oder?