Sie haben erklärt, bei den Europawahlen habe es keinen Erdrutsch zugunsten der Anti-EU-Parteien gegeben. Was veranlasst Sie zu dieser Einschätzung?

HANNES SWOBODA: Es war so in einigen Ländern, in anderen aber nicht. Wir haben ja leider wieder nationale Wahlen für das Europäische Parlament gehabt und nicht Europawahlen. Die Resultate sind also sehr stark geprägt von den nationalen Voraussetzungen, natürlich mit einer europapolitischen Komponente.

Kann es sein dass manche Wähler, wenn es nicht um die nationale Regierung geht, bereit sind, Experimente zu wählen?

SWOBODA: Ich glaube, das stimmt. Man muss offen sein und zugeben, dass viele die Wahlen zum Europäischen Parlament für nicht so wichtig halten. Die Menschen denken, da haben sie die Chance, den Regierungen eine Ohrfeige zu geben.

In Großbritannien war die Anti-EU-Partei Ukip schon bei der letzten Europawahl auf Platz zwei, ihr Erfolg ist also nicht ganz neu. Es scheint da politische Strukturen zu geben, die uns sehr inselhaft erscheinen.

SWOBODA: Inselhaft ist ein gutes Wort. In Großbritannien gibt es bei den Medien und bei Teilen der Regierung eine Flut von antieuropäischer Stimmungsmache. Es gibt im ganzen Land keine einzige bedeutende Persönlichkeit, die eine proeuropäische Haltung einnimmt. Auch bei der Labourpartei wünsche ich mir eine deutlichere Haltung für Europa. Der Ablehnung von Europa muss man klar entgegentreten, sonst geht es in Großbritannien den Bach hinunter.

In allen EU-kritischen Parteien spielt die Frage der Einwanderung eine riesige Rolle. Die Menschen scheinen ein tiefes Missbehagen zu haben und den europäischen Bekenntnissen zur sogenannten Freizügigkeit zu misstrauen. Was muss die Botschaft Europas an diese Leute sein?

SWOBODA: Man muss einmal klären, ist es Binnenwanderung oder Einwanderung von außen.

Pardon, die Leute sehen einfach zu viele Ausländer!

SWOBODA: Man muss sicher die Ursache von erzwungener Wanderung bekämpfen. Das ist innerhalb der EU leichter als außerhalb. Man muss sehen, was es heute noch an Armut in Europa gibt. Wenn gegen Armut in den eigenen Ländern nicht genug getan wird - auch

mit Hilfe europäischer Gelder - werden die Leute im eigenen Europa auf Wanderung gehen. Ich sage dazu klar: Entweder Europa oder nicht Europa. Diese Frage muss man stellen.

Dann sagen die Anti-EU-Politiker: nicht Europa.

SWOBODA: Gut. Dann sollen sie eine Entscheidung treffen. Man muss ihnen dabei klar sagen: Wie hätten die Olympischen Spiele in London stattfinden können ohne die polnischen Arbeiter? Wie sollen in Österreich und anderen Ländern die Spitäler und Seniorenheime ohne Zugewanderte funktionieren? Wir sind ja zu feige, das deutlich zu sagen, gerade an der Spitze der Politik, was die Konsequenzen dieser Art von Ausländerdebatte sind.