Heute noch schlägt Leopold Figl und Bruno Kreisky fast mythische Verehrung, Franz Vranitzky und Wolfgang Schüssel immerhin Respekt und Anerkennung entgegen. Dabei ist der Regierungschef lediglich die Nummer drei in der Republik – hinter dem Bundes- und dem Nationalratspräsidenten; und auch im Kollegialorgan Bundesregierung agiert der Kanzler als Erster unter Gleichen.

Trotzdem dreht sich alles, um den Job und seinen jeweiligen Amtsinhaber. Von ihm erwartet sich Bürger wie Medien ein ganz bestimmtes, eben ein kanzlerhaftes Verhalten: staatstragend, führungsstark, souverän und international respektiert und angesehen. Wie früher eben, in der angeblich guten alten Zeit! Die sind zwar vorbei – nicht zuletzt, weil auch die Medien einen anderen Umgang mit den Politikern pflegen –, geblieben ist jedoch die Sehnsucht nach einem allseits anerkannten Regierungschef oder -chefin. Wer in diesem Amt aus der Rolle fällt, bekommt schnell zu hören, dies oder das sei „eines Kanzlers unwürdig“. Etwa als Karl Nehammer (ÖVP) ein – noch dazu gewassertes – Bier auf offener Bühne auf Ex getrunken hatte.

Gusenbauer konnte sich nur kurz seines Amts erfreuen.
Gusenbauer konnte sich nur kurz seines Amts erfreuen. © APA / Helmut Fohringer

An dieser Richtschnur müssen sich auch die Kanzleraspiranten messen lassen: Die Aussicht auf einen selbsternannten blauen „Volkskanzler“ namens Herbert Kickl lässt dessen Gegner erschauern, umgekehrt wird aber auch SPÖ-Chef Andreas Babler das Zeug zum Regierungschef abgesprochen, weil sein höchstes bisheriges Amt jenes des Bürgermeisters von Traiskirchen sei und er über keinen ordentlichen Schulabschluss verfüge (dabei hat er in Krems einen Master-Kurs abgeschlossen).

Manager ohne Politikerfahrung: Christian Kern
Manager ohne Politikerfahrung: Christian Kern © Expa/ Michael Gruber

Was dabei übersehen oder vergessen wird: Kanzler ist, wer es schafft, den Job zu erobern. Andreas Gusenbauer war 2006 der erste, dem dies ohne Regierungserfahrung in Bund oder Land gelang. Nachfolger Werner Faymann war zwar zuvor Minister, für hochgezogene bildungsbürgerliche Augenbrauen sorgte jedoch, dass er zwar Jus inskribierte, aber nie zu einer Prüfung antrat. Auf Faymann folgte der eloquente, elegante Christian Kern, ein Magister der Kommunikationswissenschaft, der zuvor zwar Manager im staatsnahen Bereich und Pressesprecher im SPÖ-Klub war, aber nie ein echtes politisches Amt ausgeübt hatte. Bei Sebastian Kurz, der mit 31 Jahren zum bisher jüngsten Kanzler ernannt wurde, war es weniger das nicht abgeschlossene Jus-Studium als die Frage, wie alt und lebenserfahren sollte ein Kanzler sein.

Der bisher jüngste Kanzler: Sebastian Kurz
Der bisher jüngste Kanzler: Sebastian Kurz © APA / Roland Schlager
Erste Kanzlerin, aber keine Politikerin: Brigitte Bierlein
Erste Kanzlerin, aber keine Politikerin: Brigitte Bierlein © Expa/ Michael Gruber

Außer Konkurrenz in dieser Kanzlertypologie ist Brigitte Bierlein zu betrachten. Die im Juni verstorbene erste Frau im Kanzleramt war schlicht keine Politikerin, dafür glänzte sie als Regierungschefin eines Beamtenkabinetts 2019 durch Eleganz und Menschenfreundlichkeit. Anerkennung fand sie dennoch –oder gerade deswegen – im Übermaß.

Am Ende drängt sich die Erkenntnis auf: Für den von Mythen umrankten Job des Regierungschefs braucht es keine besonderen Fähigkeiten. Kanzler kann, wer Kanzler ist. Bis es sich der Bundespräsident, die Wähler, die eigene Partei oder eine Mehrheit im Parlament wieder anders überlegt.