Vom Glauben wird behauptet, dass er Berge versetzen könne. Die ÖVP mit Karl Nehammer an der Spitze wäre schon mit deutlich weniger zufrieden: Sie will auf diese Weise die Wahlen gewinnen. Und weil sich gemeinsam besser hoffen lässt, versammelten sich am wohl letzten hochsommerlichen Samstagvormittag 3500 Anhänger und Funktionäre der Kanzlerpartei in einer zumindest anfangs noch gut gekühlten Wiener Eishalle zum Start in den Intensivwahlkampf.

Inhaltlich bot der Anlass keine Überraschungen, sondern einen Parforceritt durch die türkis-schwarze DNA: Leistung müsse sich lohnen, neue Steuern kommen nicht infrage, Familien gehören entlastet und Sicherheit gestärkt. Und weil Wahlkampf ist und es eben dazu gehört, wurden auch die politischen Mitbewerber mit Spott und Hohn überzogen. Diesbezüglich hat sich Klubobmann August Wöginger in der ÖVP einen gewissen Ruf erworben, also gab er auch nun den Einpeitscher. Zum Kanzler-Triell mit SPÖ-Chef Andreas Babler und FPÖ-Obmann Herbert Kickl sprach er „Auf der einen Seite ist da der Kommunist mit seiner 32-Stunden-Woche. Auf der anderen Seite steht ein gefährlicher Kandidat, der sich nicht von den rechtsextremen Identitären abgrenzt.“

Söder an Nehammer: Schlagt die FPÖ!

Von den bei solchen Veranstaltungen längst üblichen Grußbotschaften waren vor allem zwei bemerkenswert. Da war zum einen der lange Applaus, den Ex-Kanzler Sebastian Kurz für seine Unterstützung für Nehammer erhielt, was allerdings nicht verwundert, war er es doch, der Partei 2017 und dann erneut 2019 in lichte Höhen führte.

Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder erklärte die Wahl in Österreich dann zur Richtungsentscheidung auch für Deutschland, das 2025 an die Urnen muss: „Schlagt die FPÖ!“, forderte er die Schwesterpartei auf, „denn die FPÖ bedeutet die dunkle Seite der Macht, die ÖVP dagegen steht für die helle Seite der Macht“, so der „Star Wars“-Fan Söder mit einer Anspielung auf die Hollywood-Mythologie.

Sollte die ÖVP nach den Wahlen doch mit der FPÖ koalieren, dürfte zumindest Söder gesteigert irritiert sein.

Kurz erinnerte die Partei noch einmal daran, wie unendlich fern 2019 bereits ist. Mit dieser Vergangenheit hat die Gegenwart, national wie global, nur noch wenig gemeinsam. Deshalb reicht heute bereits die statistische Chance auf Platz eins, um die Kanzlerpartei sicht- und spürbar zu enthusiasmieren. Möglich gemacht hat dies vor allem die EU-Wahl im Juni, wo die ÖVP zur Überraschung aller mit Reinhold Lopatka nur noch einen Prozentpunkt oder 30.000 Stimmen hinter der FPÖ lag.

Das ist der Stoff, auf den alle türkisen Hoffnungen bauen. Dazu braucht es Kämpfer, und es kann kein glücklicher Zufall sein, dass Nehammer schon als Kanzler-Frischling mit seinem Boxer-Hobby spielte. Plötzlich passt diese Geschichte zum Drehbuch, weshalb der Kanzler zum dröhnenden Sound von „Eye of the Tiger“ aus den „Rocky“-Filmen solo Einzug hielt.

Die ÖVP glaubt an ihre Chance

In seiner knapp einstündigen Rede wiederholte Nehammer dann, was zuvor schon die Einpeitscher sagten. Wer Abwechslung sucht, ist auf einer Wahlkampfveranstaltung fehl am Platz. Aber der ÖVP-Spitzenkandidat weiß, was seine Partei von ihm sehen und hören will. Die Mitte, die er für seine ÖVP reklamiert, setzte er wie selbstverständlich mit der gesellschaftlichen Breite des Landes gleich. Dabei kommt die neue ÖVP mit Glück nur noch auf ein Viertel der abgegebenen Stimmen.

Angesichts der Vielzahl an offenen Baustellen in dieser Republik – von der Rezession bis zum Budget, von den Schulen bis zur Pflege, von Integration bis zur Sicherheit – war es dann allerdings doch vermessen, dass Nehammer mit lauter Stimme in sein ihm ergebenes Publikum rief: „Wir leben nicht von den Problemen, wir lösen sie!“ So gesehen ist es fast schon wieder ein verstecktes Schuldeingeständnis, dass der „Österreich-Plan“ mit den Zukunftsplänen der ÖVP nach fast 40 Jahren ununterbrochener Regierungsbeteiligung beachtliche 270 Seiten lang ist.

Am Ende der Veranstaltung bleibt der Eindruck: Die ÖVP glaubt an ihre Chance. Weil Politik zu einem beachtlichen Teil aus Psychologie besteht, ist es nicht unmöglich, dass sie auch eine hat. Falls nicht, beginnt am 30. September schon wieder eine neue Wirklichkeit.