Das Thema Migration ist für die SPÖ heikel. Zwar regelt seit 2018 das „Kaiser-Doskozil-Papier“ zumindest theoretisch, wo die Partei in diesen Fragen steht, für parteiinterne Debatten sorgt der rote Kurs dennoch regelmäßig. Im ORF-Sommergespräch am Montag zeigte sich SPÖ-Chef Andreas Babler allerdings zuversichtlich, einen gangbaren Weg gefunden zu haben. Ein menschlicher Umgang mit den Ankommenden müsse zwar im Fokus stehen, gleichzeitig sollen aber auch die Asylantragszahlen deutlich sinken. „Mit unserem Modell kommen 75 Prozent weniger Flüchtende“, sagte Babler im ORF-Interview. Erreichen wolle man das unter anderem mit Klagen gegen Länder wie Ungarn, die ihre Verpflichtungen im Asylbereich nicht erfüllen.

Viele Migranten kamen über Ungarn nach Österreich

Ist es richtig, dass irreguläre Migration nach Österreich mittels Klagen gebremst werden könnte?  Klar ist: Vor allem in den vergangenen Jahren wurde ein großer Teil der Asylsuchenden, die Österreich erreichten, an der ungarisch-burgenländischen Grenze aufgegriffen. In Ungarn waren sie davor nicht registriert worden. Genau das wäre aber die Aufgabe des ersten EU-Staates, den ein Asylwerber erreicht. Doch in der Realität nimmt Ungarn kaum Asylanträge entgegen: Als 2022 Österreich mehr als 112.000 Asylanträge verzeichnete, waren es in Ungarn gerade einmal 45. Wäre Ungarn seiner Verpflichtung nachgekommen und hätte die Neuankömmlinge registriert, wäre diese Statistik wohl anders ausgefallen. Das von Babler genannte Minus von 75 Prozent habe sich auf die Zahlen der vergangenen Jahre bezogen, stellte das Team des SPÖ-Chefs auf Nachfrage der Kleinen Zeitung klar.

Aktuell wäre der Effekt wohl geringer:  Allgemein sind die Asylantragszahlen in Österreich zuletzt stark gesunken, 15.245 Anträge verzeichnete das Innenministerium von Jänner bis einschließlich Juli 2024. Entspannt hat sich auch die Situation an der ungarischen Grenze, aktuell würde es „keinen Schwerpunkt“ geben, wo irreguläre Migrantinnen und Migranten die Grenze zu Österreich besonders häufig überschreiten, heißt es aus dem Innenministerium.

Ungarn bereits zu hohen Strafzahlungen verurteilt

Aber könnte Österreich Ungarn, oder einen anderen EU-Staat tatsächlich vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) klagen? „Österreich kann Ungarn nur dann klagen, wenn es zuvor die Kommission dazu aufgefordert hat und diese dem nicht nachkommt“, erklärt Walter Obwexer, Europarechtsexperte an der Uni Innsbruck.

Doch die Kommission hat bereits Schritte gegen Ungarn gesetzt. Erst im Juni wurde Ungarn vom EuGH zu hohen Strafzahlungen verurteilt. 200 Millionen Euro muss Budapest bezahlen, dazu kommt noch eine Million für jeden Tag, an dem die ungarischen Asylregeln nicht dem Unionsrecht entsprechen. Ob Ungarn diese Strafzahlungen in Kauf nimmt, oder nun doch einlenkt, bleibt abzuwarten.

Der Weg zu Strafzahlungen ist lang

Selbst wenn Österreich noch weitere Punkte, in denen Ungarns Asylpolitik gegen Unionsrecht verstoßen könnte, einklagen würde, wäre der Weg zu weiteren Sanktionen ein weiter, erklärt Obwexer. Denn zunächst müsse der EuGH entscheiden, dass ein Mitgliedstaat gegen Unionsrecht verstößt. Kommt das Land dem Urteil dann nicht nach, muss ein weiteres Mal geklagt werden. Erst dann kann der EuGH Sanktionen verhängen. Sechs bis sieben Jahre dauere dieser Prozess üblicherweise, sagt der Rechtsexperte. Dass eine Klage durch Österreich also kurzfristig zu weniger Asylanträgen führen würde, ist unwahrscheinlich.