Um Doris Bures war es in den letzten Jahren eher still geworden. Nach der Niederlage der SPÖ bei der von Sebastian Kurz vom Zaun gebrochenen Nationalratswahl im Jahr 2017 musste sie das Büro der Nationalratspräsidentin räumen und trat in die zweite Reihe zurück. Als Zweite Nationalratspräsidentin suchte die 62-jährige Wienerin fortan nicht mehr das mediale Rampenlicht, sondern verschwand im Hintergrund. 

Doch der Schritt ging nicht mit einem dramatischen Machtverlust einher. Innerparteilich führt kein Weg an Bures vorbei. Ihren womöglich bittersten Moment erlebte sie beim Maiaufmarsch 2016. Als Chefin der „Liesinger Regimenter“ organisierte sie die legendäre Solidarisierungsaktion mit dem damaligen Bundeskanzler Werner Faymann. „Werner, der Kurs stimmt“, stand auf den Taferln, die die Genossen der Bezirkspartei Liesing beim Einzug auf den Rathausplatz in die Höhe hielten. Doch die Aktion ging in einem gellenden Pfeifkonzert unter. Wenige Tage später trat Faymann ab. Nachfolger wurde nicht der Wunschkandidat der Wiener SPÖ, Gerhard Zeiler, sondern Christian Kern.

Bures gehört dem mächtigen Realo-Flügel der Wiener SPÖ an, der von den Flächenbezirken Donaustadt, Floridsdorf, Liesing, teils auch Simmering getragen wird, dem neben Faymann auch Bürgermeister Michael Ludwig, aber auch der als ehemaliger Bundesgeschäftsführer unglücklich agierende Christian Deutsch angehört hatte. 2018 erhielt die Fraktion wieder Oberwasser, weil in der Kampfabstimmung um die Häupl-Nachfolge nicht Andreas Schieder, sondern eben Ludwig das Rennen gemacht hat.

Die einstige Bundesgeschäftsführerin und spätere Verkehrsministerin war immer schon eine Architektin der Macht, die hinter den Kulissen werkt und nur punktuell  das Licht der Öffentlichkeit sucht. Legendär ist ihre Aussage zwei Jahre vor der Demontage ihres Vertrauten Faymann, als sie in einem Interview gefragt wurde, ob nicht der damalige ÖBB-Chef Christian Kern die Macht in der SPÖ übernehmen sollte: „Er ist ein ganz hervorragender Bahnmanager. Aber wissen Sie, genauso wie ich kein so hervorragender Bahnmanager wäre, glaube ich, wäre er nicht so ein guter Politiker“, so Bures. Die Politik sei „nicht die Stärke, die er hat“. Zwei Jahre später sah die Welt dann schon anders aus.

Man kann davon ausgehen, dass der am Wochenende publik gewordene Brief, in dem die mächtigste Frau in der SPÖ dem Spitzenkandidaten Andreas Babler eine programmatische Themenverfehlung vorwirft, mit Ludwig abgesprochen war. Ludwig und Babler lagen sich in den letzten Monaten in der Statutenfrage immer wieder in den Haaren, dahinter verbirgt sich freilich eine Machtfrage. Während Babler auf die Basis setzt, baut Ludwig auf die Gremien. 

Bures als intime Kennerin des Wechselspiels zwischen Politik und Medien musste wissen, dass der von ihr verfasste Brief das Licht der Öffentlichkeit erblicken würde - und für den Spitzenkandidaten verheerende Auswirkungen haben würde. Längst ist es kein Geheimnis mehr, dass nicht nur die Wiener SPÖ, auch die Gewerkschaft und andere Landesorganisationen auf eine mittelgroße Koalition nach der Wahl setzen. Sollte Babler ein suboptimales Ergebnis einfahren, würde Finanzstadtrat Peter Hanke das Heft in der Bundespartei, zumindest in der Koalition übernehmen. Dann wäre der wenig steuerbare, durchaus selbstbewusste Traiskirchner Bürgermeister als Bundespolitiker wohl Geschichte.