Das Justizministerium hat Dienstagfrüh den Bericht jener Untersuchungskommission veröffentlicht, die sich mit etwaiger politischer Einflussnahme in der Amtszeit des verstorbenen Ex-Sektionschefs Christian Pilnacek befasst hatte. Bereits vergangene Woche war aus dem Papier zitiert worden, eine vollständige Veröffentlichung musste aber noch medienrechtlich abgeklärt werden. Der rund 230 Seiten starke Bericht ist mit dem Argument des Persönlichkeitsschutzes zum Teil geschwärzt.
Justizministerin Alma Zadic war dazu im Ö 1-Morgenjournal zu Gast. Die Gerüchte habe es ja schon vor ihrer Amtszeit gegeben, deswegen habe sie seit ihrem Amtsantritt vor fünf Jahren umfassende Maßnahmen getroffen, damit mögliche Interventionen hintan gehalten werden können. Eine der wichtigsten Maßnahmen, die auch im Bericht angeführt sei, war die Teilung der Supersektion – die Christian Pilnacek zum mächtigsten Mann der österreichischen Justiz machte – in zwei Sektionen „zur Wiederherstellung der inneren Gewaltenteilung“. Diese Aufteilung, so Zadic, habe sich als richtig erwiesen, da die Sektion, die bislang nur für Einzelstrafsachen bzw. für die Staatsanwaltschaft zuständig sei, auch nach innen arbeite, „ruhig arbeite“, und in den letzten Jahren habe man in der Öffentlichkeit auch wenig von ihr gehört.
Besprechungen mit Beschuldigten verboten
Sie betonte, dass der Bericht festgehalten habe, dass die österreichische Justiz sehr gut funktioniere und Reformen und Maßnahmen der letzten viereinhalb Jahre auch greifen würden und dieser Weg fortgesetzt werden solle. Als Beispiel nannte sie, dass klargemacht worden sei, dass Bekanntschaften zwischen Personen, die in der Sektion für Einzelstrafsachen für die Staatsanwaltschaften zuständig sind, im Akt ersichtlich zu machen seien – „damit klargemacht werden kann, wie mit diesen Bekanntschaften umgegangen wird und welche Befangenheitsregeln gelten.“ Zweitens: Das Versenden von Aktenteilen mittels Signal würde verboten werden und drittens dürfe es künftig keine Besprechungen von Ministeriumsmitarbeitern mehr mit Beschuldigten im Ministerium geben.
Zur Frage, wie künftig mit Sonderbehandlungen prominenter „clamoroser“ Fälle umgegangen würde, sagt Zadic: „Ich kann mir vorstellen, dass man solche Fälle künftig neu regelt.“ Es dürfe keine Unterscheidung nach der Person des Verdächtigen mehr geben. Diese Änderung in der Strafprozessordnung könne sie sich vorstellen. Bei Fällen, wo man gegen Personen aus den eigenen Reihen ermitteln würde, sei es wichtig, dass auch im Ministerium klare Befangenheitsregeln gelten müssen. Das sei zwar in den letzten Jahren „gelebte Praxis“ gewesen, es gelte aber, auch das klar neu zu regeln. Im Akt müssten Bekanntschaften und Freundschaften mit Mitbeschuldigten angeführt werden und es müssten klare Befangenheitsregeln definiert werden. „Alle Ergebnisse und Erkenntnisse des Berichts werden im Justizministerium geprüft.“ An der Generalstaatsanwaltschaft halte sie fest: „Ich halte es für wichtig, dass die Justizministerin, der Justizminister entmachtet werden und die Macht sich nicht in einer Person konzentriert, sondern dass ein Senat entscheidet.“
Stellen geschwärzt
Die meisten Schwärzungen im Bericht waren bereits von der von Martin Kreutner geleiteten Kommission selbst vorgenommen worden, weitere kamen nach einer eingehenden Prüfung durch das Justizministerium hinzu. Unkenntlich gemacht wurde etwa eine Stelle, wo es um den Tod des ehemaligen Sektionschefs geht. Andere betreffen Interventionen ehemaliger Minister sowie die Verfahrensdauer. Ausgiebig unkenntlich gemacht wurden Aktenbestände der Justiz zu konkreten Fällen.
Im Wesentlichen erläutert der Bericht das, was Kreutner bei dessen Präsentation vergangene Woche schon dargestellt hatte. Von großflächigen Schwärzungen betroffen sind unter anderem einige der Fälle, bei denen „signifikante Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass den vorgegebenen Regeln im Zuge von Ermittlungsverfahren gegen hochrangige Justizangehörige nicht entsprochen wurde“. Augenmerk der Kommission lag auf sogenannten „clamorosen Fällen“ wie der Causa Stadterweiterungsfonds, der SPÖ-Inseratenaffäre, dem Eurofighter-Komplex, der Causa Meinl oder der Causa Ibiza.
Bericht skizziert Einflussnahme Pilnaceks
Der Bericht skizziert dabei die Einflussnahme durch den verstorbenen Ex-Sektionschef in dessen Amtszeit. Etwa habe sich Pilnacek oftmals detailliert über Ermittlungsverfahren berichten lassen und dabei zahlreiche, teils überbordende Berichtsaufträge erteilt. Diese hätten zum Teil sehr viele Ressourcen beansprucht, die für die eigentlichen Ermittlungen fehlten, heißt es. Thematisiert werden in dem Bericht auch Dienstbesprechungen mit dem Sektionschef, die oftmals dazu dienten, den zuständigen Sachbearbeitern „gut gemeint“ zu erklären, wie mit dem Verfahren umzugehen sei. Auch hat sich für die Kommission der Eindruck erhärtet, dass wiederholt diffuse Weisungen erteilt wurden, um Einfluss zu nehmen. Etwa liegt es für die Kommission auf der Hand, dass Pilnacek der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Ibiza-Verfahren tatsächlich keine aktive Rolle habe zukommen lassen wollen.
Treffen mit hochrangigen Politikern
Kritisiert werden darin auch regelmäßige und enge Treffen mit hochrangigen Politikern. Einen Regelbruch ortet der Bericht etwa darin, dass Pilnacek vertrauliche Gespräche mit Beschuldigten und deren Verteidigern geführt hatte, etwa mit zwei CASAG-Aufsichtsratsmitgliedern oder mit „einem Parteigänger zweier Beschuldigter in der Causa Inseratenaffäre“, für die es keine rechtliche Grundlage gegeben habe. Ebenso wurde – etwa in der Causa Chalet N rund um den pleitegegangenen Immobilieninvestor René Benko – festgestellt, dass sich Verteidiger mit Eingaben direkt an die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) wandten, obwohl das Ermittlungsverfahren nicht von der OStA an sich gezogen worden war.
Die Kommission widmete sich – nachdem sie mehrere Hinweise bekam – auch einem Nebenstrang des Telekom-Falls. „Der Fall zeigt eindrücklich, wie in einem geschlossenen System trotz polizeilich ermittelter, nicht unbedeutender Verdachtsmomente gegen einen hochrangigen Justizrepräsentanten nicht weiter ermittelt, sondern das Verfahren möglichst ‚geräuschlos‘ eingestellt wird.“ Details dazu sind allerdings geschwärzt. Nach Auffassung der Kommission zeigt sich ein „bedenkliches Grundverständnis des Umgangs mit Anscheinsbefangenheit durch führende Repräsentanten der StA.“
Kritisiert wird in dem Bericht auch die Medienarbeit der Justiz. Das Defizit in der Medienarbeit habe dazu geführt, dass Pilnacek dieses „Vakuum“ ausgefüllt habe. Besonders bedenklich erwies sich diese Vermischung laut dem Bericht nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos. Medien seien von hohen Funktionsträgern der Justiz dafür benutzt worden, Botschaften „nach unten“ zu richten, dass „an der Sache nichts dran sei.“ Die Kommission könne „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen“, dass durch Pilnacek über viele Jahre auch gezielte Hintergrundgespräche mit ausgewählten Medienvertretern geführt, Zeitungsartikel zumindest einer Journalistin korrigiert bzw. der Beitrag zumindest einer Journalistin für ein Druckwerk des Parlaments augenscheinlich redigiert sowie einzelne Journalistinnen und Journalisten mit dienstlichen Informationen gezielt „gefüttert“ wurden. Gleichzeitig seien andere Justizangehörige bei tatsächlichen oder behauptetem Kontakt zu Medien und angeblichen Auskünften teils mit schwerwiegenden dienst-, disziplinar- oder strafrechtlichen Ermittlungen konfrontiert gewesen.
„Abschaffung der Zwei-Klassen-Justiz“
Der Originalbericht umfasst rund 230 Seiten, Untersuchungszeitraum war von 1. Jänner 2010 bis 14. Dezember 2023. Sechs Monate lang hatte die Kommission, die im Dezember des vergangenen Jahres eingesetzt worden war, ermittelt. Auch eine Reihe an Empfehlungen finden sich darin. Neben der Einrichtung einer Generalstaatsanwaltschaft und der „Abschaffung der Zwei-Klassen-Justiz“ empfiehlt die Kommission unter anderem die „Außerstreitstellung sowie Stärkung der WKStA bei gleichzeitiger Herauslösung des 'Bundes-Nadelöhrs' Oberstaatsanwaltschaft Wien als Instanz“ (diese ist derzeit Oberbehörde der WKStA, Anm.). Alle Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sollen zudem eingeladen werden, eine öffentliche Erklärung betreffend „(nötiger) Distanz zu Politik und Äquidistanz zu einzelnen politischen Parteien“ sowie den Medien abzugeben.
Eine weitere Forderung ist die Beschränkung des staatsanwaltlichen Instanzenzuges auf zwei Instanzen bei gleichzeitiger Stärkung der gerichtlichen Kontrolle und Reduktion des Berichtswesens. Dies spielt vor allem eine Rolle bei sogenannten „clamorosen Fällen“, die derzeit von zahlreichen Personen in Oberstaatsanwaltschaft und Justizministerium begutachtet werden müssten.
Anlass für die Einsetzung der Kommission war das Auftauchen einer Aufnahme, auf der Pilnacek bei einer abendlichen Runde mit Bekannten im Wirtshaus gesagt hatte, die ÖVP habe erfolglos verlangt, Ermittlungen einzustellen und Hausdurchsuchungen abzudrehen. In ihrem Bericht zu den Jahren 2010 bis 2023 hat die Kommission laut Kreutner u. a. Belege für eine „Zwei-Klassen-Justiz“ gefunden.
Dass der vollständige Bericht nicht sofort vorgelegt wurde, hatte für Kritik vonseiten der Opposition gesorgt. Nun wurde das Dokument auf der Website des Justizministeriums online gestellt. Kritik gab es an den teils umfangreichen Schwärzungen.
„Dieser Umfang der Schwärzungen überrascht im negativen Sinn. Das Transparenzverständnis der Grünen hat unter der Koalition mit der ÖVP offenbar stark gelitten“, findet FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker: „Ein Bericht, der die politische Einflussnahme aufzeigen sollte, wurde erneut Opfer politischer Einflussnahme.“ Der vorliegende Bericht zeige aber dennoch eindeutig, wie die ÖVP über den mittlerweile verstorbenen Sektionschef Pilnacek massiv bei Justiz und Strafrechtspflege interveniert habe.
Justizministerin Alma Zadic (Grüne) rechtfertigte die Schwärzungen gegenüber dem Ö 1-Mittagsjournal damit, dass der überwiegende Teil von der Kommission selbst geschwärzt worden sei. Das Ministerium habe nach einer Überprüfung lediglich zwei weitere Stellen unkenntlich gemacht, was man auf der Homepage auch ausgewiesen habe. Zudem forderte die Ministerin neue Regeln für „clamorose Fälle“. Diese sollten künftig nicht mehr anders behandelt werden. Grundsätzlich arbeite die Justiz sehr gut, allerdings habe man gesehen, „dass es bei Verfahren mit Bezug zu Politikern und Politikerinnen immer wieder Versuche von Beeinflussungen gab“, so Zadic.
Problematisches Naheverhältnis zur Politik
Für die SPÖ zeigt der Bericht einmal mehr die Notwendigkeit einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft als oberste Weisungsspitze. Diese müsse „klar von der politischen Spitze“ getrennt sein, betonte die rote Justizsprecherin Selma Yildirim. Der Bericht offenbare ein problematisches Naheverhältnis zur Politik. Im Bereich der Justiz dürfe aber nicht einmal der Anschein einer politischen Einflussnahme entstehen, so Yildirim: „Das müssen wir sicherstellen.“ Die rote Justizsprecherin fordert daher unter anderem die Reduzierung der Berichtspflichten an die übergeordnete Instanz, die Abschaffung des Weisungsrates und der „clamorosen Fälle“ sowie eine Reform der Bestellung von Staatsanwälten sowie Dienst- und Fachaufsicht.
Die Neos bezeichneten die Veröffentlichung des Berichts als „überfällig“ und führten diese auf den „öffentlichen Druck“ zurück. „Jetzt müssen dem Bericht aber konsequent Maßnahmen und Reformen folgen“, forderte Vize-Klubobmann Nikolaus Scherak etwa eine unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft.