Wenn das Klimaschutzministerium geplante Straßenprojekte abdrehen will, kommt es zu emotionalen politischen Konflikten. Das zeigte bereits die Wiener Stadtstraße, dessen Bau Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) verhindert. Ähnliches hat sie jetzt mit der geplanten S18 in Vorarlberg vor.

Kleinere Entlastungsschritte statt S18

Das Klimaschutzministerium möchte das Land zur Aufgabe des Schnellstraßenprojekts S18 bewegen. Das Ministerium schlägt Vorarlberg in einem noch nicht unterfertigten Arbeitsübereinkommen vor, den Streckenverlauf der S18 aus dem Bundesstraßengesetz herauszunehmen. Realisiert werden soll die Entlastung über niederrangige Straßen, die zur Gänze der Bund bezahlen würde. Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) lehnte am Dienstag entschieden ab.

Bei der projektierten Bodenseeschnellstraße S18 handelt es sich um eine etwa 8,5 Kilometer lange Ortsumfahrung Lustenaus, ausgehend vom Autobahnanschluss Dornbirn-West in die Schweiz nach St. Margrethen (Kanton St. Gallen) - damit würde auch eine hochrangige Verbindung zwischen den beiden Autobahnsystemen der Schweiz und Österreichs geschaffen. Entlastungswirkung hätte die S18 vor allem für Lustenau, aber auch für die Bodensee-Gemeinden. Eine Realisierung der nach dem aktuellen Planungsstand der Straßenbaugesellschaft Asfinag rund zwei Milliarden Euro teuren Straße vor 2040 scheint allerdings in jedem Fall unrealistisch. Ob und wie die Verbindung am Rande eines Naturschutzgebiets gebaut werden soll, sorgt in der Vorarlberger Politik und den betroffenen Gemeinden schon seit Jahrzehnten für hitzige Diskussionen.

„Lustenau Süd“

In dem Arbeitsübereinkommen weist das Klimaschutzministerium noch einmal auf die Vorteile einer niederrangigen Lösung hin - Gewessler hat bereits im Jänner 2023 eine niederrangige Variante „Lustenau Süd“ ins Spiel gebracht. Dazu gehören etwa die Möglichkeit einer schrittweisen Realisierung und somit einer schnelleren Entlastung der Orte. Auch die „großen Genehmigungsrisiken“ des hochrangigen Straßenprojekts S18 werden erwähnt. Gespräche bezüglich des Arbeitsübereinkommens mit dem Land Vorarlberg haben allerdings noch keine stattgefunden. „Es handelt sich hier um ein Arbeitspapier, das noch nicht fertiggestellt ist - so sind etwa die Gespräche mit dem Land Vorarlberg noch ausständig“, hieß es aus dem Ministerium. Allerdings müsse es „bessere Lösungen geben, als eine Autobahn durch ein Naturschutzgebiet und die Trennung von Wohngebiet und Naherholungsraum“.

Wallner und Vorarlbergs Verkehrslandesrat Marco Tittler (ÖVP) zeigten sich irritiert angesichts des Vorschlags, den man nur aus den Medien kenne. Die S18 sei 2016 nach erheblichen Anstrengungen ins Bundesstraßengesetz aufgenommen worden. Seitdem sei klar, dass der Bund die Verpflichtung habe, eine hochrangige Verbindung zu planen, zu bauen, zu erhalten und zu bezahlen, betonten Wallner und Tittler. Vorarlberg werde von dieser Grundforderung nicht abgehen. Ministerin Gewessler bewege sich „planlos in einem Irrgarten“, befand Wallner. Das Land sei offen, wenn es darum gehe, über Varianten zu sprechen. An einer hochrangigen Verbindung werde aber kein Weg vorbeiführen, unterstrich Wallner. Er verwies in dem Zusammenhang auch darauf, dass Österreich mit allen Nachbarländern über hochrangige Straßen verbunden sei - nur nicht mit der Schweiz.

Bei der Asfinag befindet sich das Straßenbauprojekt S18 laut offiziellen Angaben in der Phase „Ausarbeitung Vorprojekt und finale Bewertung“. Kenner der Materie gehen davon aus, dass das fertig gestellte Vorprojekt rasch vorliegen könnte, sollte Gewessler nach der Nationalratswahl im Herbst nicht mehr der nächsten Bundesregierung angehören.

Schwarz-grüne Koalition belastet

Gewessler sorgte zuletzt mit ihrem Ja zur EU-Renaturierungsverordnung für eine Koalitionskrise zwischen ÖVP und Grünen im Bund, die auch viele ÖVP-Landeshauptleute verärgerte. Seither ist die Abneigung gegen die Grünen in der Volkspartei gewachsen. Das gilt auch für die schwarz-grüne Landeskoalition in Vorarlberg.

Während die ÖVP bereits mehr oder weniger offiziell in den Wahlkampf zur Landtagswahl am 13. Oktober gestartet ist, geben sich die anderen Landtagsparteien vordergründig noch zurückhaltend - die FPÖ hat noch nicht einmal ihre schon beschlossene Landesliste veröffentlicht. Schon öffentlich bekundet haben die Parteien aber ihr Ziel, mit der ÖVP mitregieren zu wollen. Eine Fortsetzung von Schwarz-Grün ist keineswegs in Stein gemeißelt.

Die ÖVP erreichte 2019 einen Stimmenanteil von 43,53 Prozent und 17 von 36 Mandaten - Werte, die ihr viele angesichts von Umfragen und der zuletzt in Österreich abgehaltenen Wahlgänge in diesem Herbst nicht zutrauen. Besonders zur Hochzeit der sogenannten „Wirtschaftsbundaffäre“ vor zwei Jahren schien die Vorarlberger ÖVP - und mit ihr Landeshauptmann Markus Wallner - so angeschlagen zu sein wie nie zuvor. Seitdem hat sich die Partei aber wieder erholt.

Bei der Präsentation ihres Wahlprogramms in der vergangenen Woche strahlten Wallner und Landesgeschäftsführer Dietmar Wetz gesunden Optimismus aus - wohl wissend, dass ihre Partei wahrscheinlich an Zuspruch verlieren, aber auch nicht ins Bodenlose, nämlich unter die 30-Prozent-Marke, abstürzen wird. Das bisher schlechteste Abschneiden der ÖVP bei einer Vorarlberger Landtagswahl resultierte 2014 mit 41,79 Prozent. An der ÖVP wird es mit ziemlicher Sicherheit auch nach dem 13. Oktober kein Vorbeikommen geben, und die ÖVP wird sich wie bisher ihren Koalitionspartner aussuchen.

Zeichen stehen auf Schwarz-Blau

Bewerber dafür gibt es genug: Die Grünen als aktueller Regierungspartner (seit 2014; Landtagswahl 2019: 18,89 Prozent), die wiedererstarkte FPÖ (2019: 13,93 Prozent), die SPÖ (2019: 9,46 Prozent) unter ihrem neuen Chef Mario Leiter und auch die Neos (8,51 Prozent) um Claudia Gamon, auch sie ist wie Leiter erstmals Spitzenkandidatin bei einer Vorarlberger Landtagswahl. Darf man aktuellen - nicht veröffentlichten - Umfragen und der allgemeinen Stimmungslage trauen, stehen die Zeichen auf Schwarz-Blau. Anders als in anderen Bundesländern hat eine FPÖ-Regierungsbeteiligung in Vorarlberg lange Tradition (1949-2009). Auch scheinen atmosphärische Störungen zwischen Wallner und FPÖ-Landesparteichef Christof Bitschi ausgeräumt zu sein.

In Bezug auf Schwarz-Grün ist mit dem Wechsel von Johannes Rauch nach Wien auch ein gewisses Urvertrauen zwischen den beiden Parteien abgewandert. Ebenso ließen sich aus Perspektive der ÖVP manche Verkehrsprojekte mit der FPÖ leichter umsetzen als mit den Grünen, dasselbe gilt für das eine oder andere gesellschaftspolitische Thema. Fraglich ist ebenso, ob Schwarz-Grün nach dem 13. Oktober überhaupt über die notwendige Mandatsmehrheit im Landtag verfügen wird. Außer in Vorarlberg gibt es aktuell in keinem anderem Bundesland mehr eine schwarz-grüne Landesregierung.

Für Schwarz-Rot oder Schwarz-Pink wird sich eine Mandatsmehrheit wohl kaum ausgehen. Aber auch mit Mandatsmehrheit wäre eine solche Koalition eine große Überraschung. Die SPÖ ist in Vorarlberg 1974 - vor 50 Jahren - aus der Landesregierung geflogen und hat den Schritt zurück nie mehr geschafft.