Landeshauptmann und SPÖ-Landesparteivorsitzender ist er bereits, nun ist Hans Peter Doskozil unter die Buchautoren gegangen. „Hausverstand“ heißt das Werk und darin erklärt er auf 190 Seiten, wie er tickt. Und - wie von ihm beinahe erwartet wird - spart er auch nicht mit Kritik an so manchen Parteigenossen. So hält er die Mai-Kundgebung in Wien für „überheblich“ und meint, dass die SPÖ „den kleinen Mann“ nicht mehr vertrete.

Doskozil erteilt Wechsel nach Wien eine Absage

Politisches und Persönliches finden sich in dem Werk, er lässt die Leser teilhaben an seiner Gefühlswelt, etwa als er kurz SPÖ-Chef war und dann doch nicht. Das Buch liest sich, als säße man dem Gesprächspartner Doskozil gegenüber. Der Südburgenländer erzählt über seine Herkunft und Prägung, seinen schulischen und beruflichen Werdegang - vom Polizisten zum Verteidigungsminister. Seine politische Heimat ist die Sozialdemokratie, diese bzw. ihre Protagonisten müssen aber auch die eine oder andere Kritik einstecken. Dass er gerne an ihrer Spitze gestanden wäre, daraus macht er kein Hehl. Das Kapitel ist aber abgeschlossen, betont Doskozil.

Das Buch mit dem  Titel
Das Buch mit dem Titel "Hausverstand" © APA / Judith Högerl

Linzer Parteitag als „international belächelte Blamage“

Kurze Rückblende, Juni 2023: Eine Panne bei der Auszählung nach dem Bundesparteitag führte dazu, dass Doskozil für 48 Stunden SPÖ-Vorsitzender war. Am Tag nach dem Parteitag titelte die „Krone“ „Dosko am Ziel“ - „Das beschreibt mein Gefühl damals vielleicht am besten“, freute er sich. Wenig später sollte sich das Blatt bekanntlich wenden. Während im Vorzimmer Journalisten warteten, erhielt sein Büroleiter Herbert Oschep den Anruf über den „peinlichen Fehler“ bei der Stimmenauszählung: „Im ersten Moment konnte es niemand glauben.“ Und in der Sekunde sei ihm klar gewesen: „Ok, das war‘s.“ Es sei nicht nur eine „international belächelte Blamage, sondern natürlich auch persönlich eine unglaubliche Enttäuschung - und Belastung“ gewesen.

1-Mai-Aufmarsch in Wien ist „nicht mehr zeitgemäß“

Mit der Ausrichtung der SPÖ geht er hart ins Gericht. Sie sei längst nicht mehr die stolze Arbeiterpartei, die Partei des sogenannten keinen Mannes: „In Wirklichkeit vertreten wir diese Gruppen gar nicht mehr.“ Mit dem Ersten Mai auf dem Wiener Rathausplatz kann er auch wenig anfangen. Die Tribüne, auf der die Parteielite stehe, habe etwas „Überhebliches, nicht mehr Zeitgemäßes“: „Ich weiß nicht, was sich rote Granden dabei denken, wenn sie das Jahr für Jahr aufs Neue so inszenieren.“ Dort war er nur als Verteidigungsminister ein einziges mal: „Ausgerechnet der schlimmste Erste Mai überhaupt.“ Der damals amtierende SPÖ-Chef Werner Faymann wurde ausgepfiffen.

„Habe mich bei Christian Kern entschuldigt“

Über den Machtkampf zwischen Faymann und Christian Kern gesteht Doskozil, dass er sich instrumentalisieren ließ. Da ihn Faymann „erfunden“ habe, übernahm er auch zwei seiner nächsten Mitarbeiter: „Zu spät überriss ich leider, dass sie aus meinem Ministerkabinett heraus Faymanns Rivalen Christian Kern bekämpften.“ Er habe sich hierfür bei Kern auch entschuldigt, so Doskozil.

„Vollends irritiert“ über Schulterschluss mit der FPÖ

Nicht friktionsfrei lief auch das Verhältnis später zur Vorsitzenden Pamela Rendi-Wagner. „Vollends irritiert“ habe ihn jedoch bekanntlich das Vorgehen der Parteispitze im Oktober 2021, als der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nach Enthüllungen unter Druck gekommen sei. In einer Präsidiumssitzung der SPÖ hätten sich Rendi-Wagner und andere Vertreter plötzlich für eine breite Koalitionsregierung mit FPÖ-Beteiligung ausgesprochen. Im Gegensatz zu Rendi-Wagner, Michael Ludwig und Doris Bures sei er als einziger gegen diese Pläne gewesen. Zwar sei auch für ihn die „Vranitzky-Doktrin“ nicht in Stein gemeißelt, verwies er etwa auf die Koalition mit den Blauen 2015 im Burgenland unter Hans Niessl, im Herbst 2021 mit Herbert Kickl auf Bundesebene eine Kooperation einzugehen, sei für ihn aber undenkbar gewesen, betonte Doskozil. Ziel der SPÖ-Spitze sei lediglich gewesen, „wieder in Funktionen zu kommen und die Kanzlerin stellen zu können.“

„Andi, mach Du es!“

Die Situation habe sich im Frühjahr 2023 zugespitzt, verwies er auf seine Bewerbung um den Parteivorsitz. Diese Zeit bezeichnete Doskozil als „Stellungskampf“, der in der Mitgliederbefragung mündete - die Doskozil für sich entschied, Andreas Babler wurde Zweiter, Rendi-Wagner Dritte. Die Kampfabstimmung bei einem Sonderparteitag sei Bablers Wunsch gewesen. Doskozil habe ihm zunächst angeboten: „Andi, mach Du es!“ Dies deshalb, da der Widerstand der SPÖ Wien und der Spitzengewerkschafter ihm gegenüber „fast feindselig“ war. Ländervertreter hingegen unterstützten Doskozil: „Ich bin mir untreu geworden und habe mich überzeugen lassen.“

„Gegenüber FPÖ darf man sich nicht als Obermoralist aufspielen“

Mit Politikern wie Jörg Haider, Heinz-Christian Strache oder Herbert Kickl gehe die SPÖ falsch um, ist Doskozil überzeugt. Diesen gegenüber dürfte man sich nicht als „Obermoralisten“ aufspielen, sondern sollte sich mit ihren Inhalten auseinandersetzen. Haider sei ein Vorläufer von Sebastian Kurz gewesen - „aber mit weitaus größerem Intellekt“. Angetan war er von der Wirtschaftsorientierung Franz Vranitzkys, wenig begeistert hingegen von seinem Nachfolger Viktor Klima.

Raum widmet Doskozil im Buch natürlich seinen politischen Maßnahmen wie etwa dem Mindestlohn, der Anstellung pflegender Angehöriger oder seiner Wirtschaftspolitik „Doskonomics“. Beschrieben werden auch seine Aufgaben im Zuge der Flüchtlingswelle 2015 sowie das Erleben des Vorfalls mit 71 toten Flüchtlinge in einem Lkw in Parndorf. Seine Ansichten - sowie die seines irakischen Friseurs in Stuttgart - zum Thema Integration finden sich ebenfalls im Buch.

„Ich hatte ständig das Gefühl zu ersticken“

Offen spricht der Landeshauptmann auch über seine Kehlkopferkrankung. Während die erste von inzwischen sieben Operationen „relativ unspektakulär“ verlaufen sei, sei die zweite ein „regelrechter Schock“ gewesen, da ein Luftröhrenschnitt gemacht wurde und das Luftholen in den Tagen danach „der Horror“ war: „Ich hatte ständig das Gefühl, zu ersticken und konnte nichts dagegen machen.“ Im AKH in Wien habe es dann geheißen, dass er den Kehlkopf entfernen lassen soll. Das gewohnte Sprechen wäre damit vorbei und er solle sich um einen neuen Job umsehen: „Diese Nachricht traf mich sehr.“ Neue Hoffnung und eine positive Einstellung habe er in Leipzig gefunden, bei seinem nunmehrigen Arzt Andreas Dietz. Was seine Stimme betrifft, habe sich inzwischen „eine gewisse Gelassenheit und ein Gewöhnungseffekt eingestellt“.

„Nur meine enge Hose und mein Haargel sind nicht verhandelbar“

Einblicke gibt Doskozil auch in sein Privatleben mit seiner 13 Jahre jüngeren deutschen Ehefrau Julia, die er in seiner Zeit als Minister in Köln kennengelernt habe. Für sie beide gelte das Sprichwort „Gegensätze ziehen sich an“. Während sie extrovertiert sei und über alles sprechen wolle, sei er zuhause der Gemütliche, der darauf hofft, dass sich Dinge von selbst lösen. Was seine Garderobe betrifft, sei er für Tipps offen: „Nur meine engen Hosen und mein Haargel sind nicht verhandelbar.“ Die Mietwohnung in Oberwart gestaltete seine Frau und „mittlerweile mag ich auch die Buddha-Figuren“, stellte er fest. Gelassen habe die Familientherapeutin in Ausbildung jedenfalls den SPÖ-Parteitag in Linz genommen.

Ein bundespolitisches Comeback nun nach der Autobiografie? „Das hat sich für mich erledigt, aus ganz lebenspragmatischen Gründen“, betont Doskozil darin. „Es wollte nicht sein, das muss man akzeptieren.“ Als Landeshauptmann - „die schönste Aufgabe überhaupt“ - will er noch Begonnenes fertigbringen, kündigte er an.