Gesetzes- und Verfassungsbruch: Für Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) war schnell klar, worauf die Ankündigung von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) hinauslief, im EU-Rat der Umweltminister für das EU-Renaturierungsgesetz zu stimmen. Tatsächlich stimmt Gewessler am Montag für das von der Kanzlerpartei abgelehnte EU-Gesetz und versetzte die Koalition in die schwerste Krise, seit die Grünen im Herbst 2021 den Rücktritt des türkisen Erfolgsgaranten Sebastian Kurz durchsetzten.

Dabei versuchte die ÖVP bis zum Schluss, ein Ja Gewesslers zu verhindern. Bundeskanzler Karl Nehammer erklärte seine eigene Ministerin für nicht befugt, im Namen der Republik für das EU-Gesetz zu stimmen. Weil auch dies nicht den gewünschten Effekt bewirkte, will Österreich nun per Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Beschluss vor dem Europäischen Gerichtshof vorgehen. In Wien legte ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker noch eins drauf und kündigte eine Strafrechtsanzeige gegen die Umweltministerin wegen Amtsmissbrauchs an.

Was braucht es mehr, um das Ende dieser Koalition zu erklären, zumal schon frühere Regierungen an geringeren Differenzen gescheitert sind?

ÖVP im strategischen Dilemma

Doch genau dieser eine finale Satz, der die politische Ehe zwischen Volkspartei und Grünen für beendet erklärt, ist am Montag nicht gefallen. Und wird wohl auch nicht mehr fallen. Zu viel bindet die beiden ungleichen Partner bis zum Wahltag zusammen. Vor allem soll die unberechenbare Dynamik eines freien Spiels der Kräfte im Nationalrat kurz vor den Wahlen verhindert werden.

Tatsächlich lassen sich Nichtigkeitsbeschwerde wie Strafanzeige sogar als Versuche werten, aus Sicht der ÖVP den endgültigen Bruch zu vermeiden. Andernfalls würde sie gegen Gewessler mit einer Ministeranklage und einem Misstrauensantrag im Nationalrat vorgehen. Doch dazu müsse die ÖVP, weil SPÖ und Neos nicht mitziehen, gemeinsame Sache mit der FPÖ unter Herbert Kickl machen – und genau das nicht zu tun, ist das zentrale Versprechen der Nehammer-ÖVP im Wahlkampf.

Auch die Länder- und Bündevertreter hielten sich damit zurück, den Konflikt weiter anzuheizen. Zwar sprach der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP) von einem „beispiellosen Vorgang“ und einem „gefährlichen Spiel mit geltendem Recht“, konkrete Konsequenzen forderte er jedoch nicht. Und Kärntens Landeschef Peter Kaiser (SPÖ), der mit Wien dem EU-Gesetz seinen Sanctus erteilte, meinte, man könne mit dem Beschluss „leben und arbeiten“.

Nehammer und Kogler wollen weitermachen

Am späten Nachmittag meldete sich schließlich der Kanzler aus Brüssel zu Wort. Dieser bezeichnete Gewesslers Vorgehen als „schweren Vertrauensbruch“, nach dem er eigentlich die Koalition mit den Grünen beenden müsse. Doch aus Verantwortung für das Land werde er dies nicht tun. Sein oberstes Ziel sei es, ein potenziell chaotisches und für die Staatsfinanzen ruinöses freies Spiel der Kräfte im Parlament zu verhindern.

Die Grünen ahnten diesen Ausgang wohl bereits. Auf die Empörung und rechtlichen Schritte der ÖVP reagierten die Grünen deshalb entspannt, auch weil sie ihre Ministerin durch Gutachten juristisch gut abgesichert sehen. Gewessler hat der Partei einen für den kommenden Wahlkampf unschätzbaren Erfolg beschert. Entsprechend euphorisch kommentiert die grüne Prominenz von Parteichef Vizekanzler Werner Kogler abwärts die Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz, zumal Österreich am Ende das Zünglein an der Waage war.

Es gehe hier um das aktuell wichtigste Gesetz für den Natur- und Klimaschutz, so Kogler am frühen Abend. Der Vizekanzler pochte darauf, dass es sich die Grünen eben nicht einfach gemacht hätten, sondern aus Verantwortungsgefühl für gesunde Böden und Artenvielfalt gehandelt haben.

Was bleibt von der Aufregung?

Davon abgesehen bemühte sich Kogler, die innerkoalitionären schweren Turbulenzen wieder einzufangen und den Ärger der ÖVP mit der Aussicht zu besänftigen, in den nächsten Wochen noch einige Gesetze im Sinne des Koalitionspartners zu beschließen.

Was bleibt also von der Aufregung der vergangenen zwei Tage? Vor allem die staatspolitisch beängstigende Erkenntnis, dass Österreich über keine verlässlichen und politisch allgemein akzeptierten Mechanismen zur innerstaatlichen Willensbildung verfügt. Das klingt abstrakt, ist aber für einen EU-Mitgliedstaat unerlässlich, will er von den anderen ernst genommen werden und die nationalen Interessen vertreten wissen.