Der Stephansplatz war schon zeitig in der Früh abgesperrt. Die erste Kanzlerin der Republik wurde im Rahmen eines staatlichen Begräbnisses mit militärischen Ehren im Stephansdom verabschiedet, am frühen Nachmittag wird sie am Zentralfriedhof in einem Ehrengrab bestattet. Davor hatten Bürgerinnen und Bürger Brigitte Bierlein eine letzte Ehre erwiesen.

Im vorderen Teil des Doms war ein Spalier aus Kränzen. Von Freunden und beruflichen Weggefährten, wie der Vereinigung der Staatsanwältinnen, den Bundestheatern und ihrem „ehemaligen Kabinett“ sowie von allen Landeshauptleuten, Bundesregierung und Bundespräsident. Auch Emmanuel Macron hat einen Kranz in den Farben der Trikolore geschickt. Und Sebastian Kurz mit einer Banderole in „ehrenden Gedenken“.

„Als Beamte habe ich ihre Unaufgeregtheit enorm geschätzt“, erzählt Anatol Richter, langjähriger Standesbeamter in Wien. „Ich denke, das hat sie auch so beliebt gemacht. Ihr ging es um Pflichterfüllung und Loyalität, um das Gerüst des Staates.“ Wie sie sich als Frau in einer Männerwelt wiederholt durchgesetzt hat, beeindruckte den pensionierten Beamten.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Gattin Doris Schmidauer, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter
Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit Gattin Doris Schmidauer, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter © APA / Robert Jaeger

Auch Waltraud Klasnic, von 1996 bis 2005 die erste Landeshauptfrau der Steiermark, ist gekommen, um sich von einer langjährigen Wegbegleiterin im Stephansdom zu verabschieden, die mit ihr in der Opferschutzkommission zusammengearbeitet hatte. „Ich habe Brigitte Bierlein seit Anfang der 2000er-Jahre gekannt. Am meisten hat mich ihr unermüdlicher Arbeitseinsatz beeindruckt. Sogar als Kanzlerin hat sie unermüdlich für diese Sache gearbeitet.“

Eine ältere Dame ist extra aus dem Burgenland angereist. „Frau Bierlein hatte für mich eine große Vorbildwirkung. Sie lebte Werte, die unsere Gesellschaft dringend braucht: Geradlinigkeit, Anstand und Ehrlichkeit“, sagte sie mit Tränen in den Augen. Einem Ehepaar aus Helfenberg in Oberösterreich hat die gesamte Beamtenregierung gefallen, weil die „Minister alle fachliche Kenntnis hatten“. Als langjährige Lehrerin habe sie erlebt, was passiert, wenn Unterrichtsminister keine Ahnung vom Fach hätten, sagte die Besucherin aus Oberösterreich.

Auch die ehemaligen Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Christian Kern (SPÖ) nahmen am Requiem Teil
Auch die ehemaligen Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Christian Kern (SPÖ) nahmen am Requiem Teil © APA / Robert Jaeger

Bierlein war nicht nur erste Regierungschefin Österreichs, sondern auch die erste Frau, die den Verfassungsgerichtshof geleitet hatte. Ihr Nachfolger Christoph Grabenwarter nannte sie sichtlich gerührt nicht nur eine Juristin, sondern auch eine Verbinderin im Fachlichen wie in den persönlichen Kontakten: „Brigitte Bierlein hatte Stil.“ Auch habe sie ein ausgeprägtes Gefühl für Ästhetik gehabt und das nicht nur im Äußeren – ein gutes Gespür für die richtigen Umgangsformen: „Sie war im besten Sinne des Wortes ein geselliger Mensch.“

Bundespräsident Van der Bellen erinnerte daran, dass Bierlein in den schwierigen Zeiten nach Auftauchen des Ibiza-Videos seine Einladung angenommen habe, das Land als Kanzlerin zu einer Neuwahl zu führen. Sie habe diese Aufgabe als „mutige Frau“ angetreten und die Lage in Österreich rasch wieder beruhigt. Bierlein stehe für Hirn und Herz, Selbstvertrauen und Selbstkritik, Stärke und Gelassenheit sowie für Fachkenntnis und Empathie.

Bundeskanzler Nehammer verneigte sich nicht nur rhetorisch vor Bierleins Lebenswerk. Ihr Amt als Regierungschefin habe sie mit Eleganz, Entschlossenheit und Mut, der seinesgleichen suche, ausgeübt. Sie sei „Weltbürgerin, aber auch echte Wienerin“ gewesen, habe ein Herz für die Gleichberechtigung und die Wahlfreiheit für Frauen gehabt. Bierlein sei jedem Menschen unvoreingenommen begegnet: „Sie hat den Dialog nicht nur gelebt, sondern auch gesucht.“

Von Kardinal Schönborn gewürdigt wurde, dass Bierlein all ihre Tätigkeiten als Dienst verstanden habe: „Nur so kann man dem Recht gerecht werden.“ Sie habe vorgelebt, dass klare Positionen, aufrechte Haltung und deutliche Sprache mit Wertschätzung anderer Sichtweisen vereinbar seien.

FPÖ-Parteiobmann Herbert Kickl war ebenfalls im Stephansdom dabei
FPÖ-Parteiobmann Herbert Kickl war ebenfalls im Stephansdom dabei © APA / Robert Jaeger

In den Reihen des Doms hatte die Bundesregierung ebenso Platz genommen wie z. B. Alt-Bundespräsident Heinz Fischer, die ehemaligen Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Christian Kern (SPÖ), Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ), Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP), Spitzenpolitiker aller Parteien sowie Prominenz aus der Justiz.