Ein trauriger Anlass bildete den Auftakt zur Nationalratssitzung am Mittwoch: Zu Beginn gedachten die Abgeordneten in einer Trauerminute der verstorbenen ersten Kanzlerin Österreichs Brigitte Bierlein, die Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) als außergewöhnliche Persönlichkeit würdigte, die sich um die Republik in vielen Bereichen Verdienste erworben habe. Am Freitag wird Bierlein, die am 3. Juni im 75. Lebensjahr verstorben ist, mit einem staatlichen Begräbnis und militärischen Ehren zu Grabe getragen.
Sogleich im Anschluss daran wurde der Wahlkampf von den Parteien mit parlamentarischen Mitteln fortgesetzt. In ihrer „Aktuellen Stunde“ pochten die Freiheitlichen auf eine Senkung der Strafmündigkeit bei jugendlichen Straftätern. Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer listete zunächst zahlreiche Straftaten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf und zog daraus den Schluss, dass es eine groß angelegte Abschiebungsoffensive brauche. Auch verstehe niemand, wenn jemand schwerste Verbrechen begehe und es keine wirkungsvollen Sanktionen dagegen gebe: „Wer mit 13 Jahren alt genug ist, um zu vergewaltigen und vielleicht auch zu morden, der ist alt genug, auch die Konsequenzen zu tragen. Der kann in ein Bootcamp und der kann in ein Gefängnis.“
Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), der das Thema vor Wochen selbst forcierte, sprach sich ebenfalls für eine Verschärfung aus. Die Senkung des Strafmündigkeitsalters wäre auch aus Sicht der Polizei ein wichtiger Schritt. Ansonsten wehrte sich der Ressortchef aber gegen freiheitliche Vorwürfe, dass nichts gegen die Jugendkriminalität getan werde. Es gebe eine eigene Einsatzgruppe dazu, die in ganz Österreich massive Schwerpunktmaßnahmen setze. Zudem verwies Karner auf den Rückgang bei den Asylzahlen: Vergangene Woche habe es im Burgenland null Aufgriffe gegeben.
Weil ÖVP und FPÖ in den vergangenen Jahrzehnten stets die Innenminister gestellt hätten, seien diese beiden Parteien auch verantwortlich für die aktuelle Situation, argumentierte SP-Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner. So seien es auch Schwarz und Blau gewesen, die die Polizeiposten zugesperrt hätten. Unter den Innenministern Karl Nehammer und Gerhard Karner sei die Zahl der einsatzbereiten Polizisten um 4000 gesunken. Fünf Millionen Überstunden habe es folgerichtig bei der Exekutive alleine im Vorjahr gegeben. Hier konterte FP-Mandatarin Susanne Fürst, dass die Überstunden nur anfielen, weil der Wiener Bürgermeister „alles reinlässt“ ins Land.
Entschieden gegen eine Senkung der Strafmündigkeit positionierten sich die Grünen. Diese würde nichts ändern, betonte die Faika El-Nagashi. Ansetzen müsse man, bevor etwas passiere. Der Fokus müsse auf Prävention liegen. Auf der gleichen Linie lag Neos-Mandatar Yannick Shetty: „Glaubt ihr wirklich, dass ein kleiner Krimineller nicht als großer Krimineller aus dem Gefängnis rauskommt“. Er setzt auf Maßnahmen wie verpflichtende gemeinnützige Arbeit oder die Androhung von Strafen für Erziehungsberechtigte.
Im Laufe des Sitzungstags war es dann an der SPÖ, per „Dringlichem Antrag“ Druck auf die Koalitionsmehrheit auszuüben. Die größte Oppositionspartei pochte dabei auf das Recht auf „analoges Leben“, mit dem sichergestellt werden soll, dass es ein uneingeschränktes Recht auf die Ausfertigung von kostenlosen Papierrechnungen für Konsumentinnen und Konsumenten gibt. Zudem sollen alle Förderungen und Leistungen des Bundes analog, also ohne Internet bzw. ID Austria verfügbar sein.
Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) meinte in der Beantwortung des „Dringlichen“, dass digital immer nur die Ergänzung zu analog sein könne. So seien alle Verwaltungswege weiter analog möglich, und beim Angebot von Förderungen und Services werde penibel darauf geschaut, dass ein analoger Weg erhalten bleibt.
SP-Klubvize Eva Maria Holzleitner hatte davon kritisiert, dass etwa Bundesschatz, Reparatur- und Handwerkerbonus sowie Sanierungsbonus und Kesseltausch nur digital beantragt werden können. Plakolm erwiderte hier, dass der Bundesschatz z.B. auch telefonisch zugänglich sei, und beim Handwerkerbonus seien Anträge über dritte möglich. Zudem würden die Betriebe oder die regionale Wirtschaftskammer Unterstützung bieten.
Mit großer Mehrheit beschlossen die Abgeordneten ein Sonderwochengeld für Frauen, die schwanger werden, während sie in Elternkarenz sind, aber kein Kinderbetreuungsgeld mehr beziehen. Bisher hatten diese keinen Anspruch auf Wochengeld. Dies verstößt laut Obersten Gerichtshof gegen EU-Recht. Symbolische Wiedergutmachung ist die Anerkennung von sogenannten „Berufsverbrechern“, „asozialen“ und „kriminellen“ KZ-Häftlingen, die als NS-Opfer anerkannt werden. Allerdings dürfte es vermutlich keine Überlebenden mehr geben.
Seit Mittwoch gibt es im Nationaltat ein neues Gesicht: Karl-Arthur Arlamovsky (Neos) wurde als Nachfolger von Helmut Brandstätter, der ins EU-Parlament wechselt, angelobt.