Sie war eine Frau der leisen Töne, jedenfalls in ihrem öffentlichen Leben. Und genauso leise und überraschend ist sie nun gegangen: Am Montagnachmittag wurde bekannt, dass Brigitte Bierlein, die erste Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs und erste Bundeskanzlerin der Republik, mit 74 Jahren verstorben ist.

Am Tag genau vor fünf Jahren wurde Bierlein an die Spitze einer Beamtenregierung berufen. Österreich befand sich infolge der Ibiza-Affäre in Aufruhr: Türkis-Blau zerbrach, es folgte mit dem erfolgreichen Misstrauensantrag gegen Sebastian Kurz die nächste Premiere. Bundespräsident Van der Bellen suchte nach einer Persönlichkeit von tadelloser Integrität und überparteilichem Ansehen – und fand sie in der Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs. In dieser aufgeheizten Stimmung sollte die Spitzenjuristin Stabilität in die aufgeladene Situation bringen, bis die für September angesetzten Neuwahlen für neue Ordnung sorgten.

Anker im Ibiza-Sturm

Das gelang mit Bravour. Dazu beigetragen hat wohl auch der ungewöhnliche Stil, den Bierlein in ihrer neuen Rolle pflegte und der sie von allen ihren Vorgängern und Nachfolgern unterscheiden sollte: Bescheidenheit war ihr Programm und ihr Prinzip, sich selbst nicht in den Vordergrund zu stellen, schon gar nicht gegenüber den Medien. Da war es nur konsequent, dass sie auch ihren Kollegen im Übergangskabinett den Rat gab, sich „in Bescheidenheit“ und gegenüber Journalisten „in Zurückhaltung zu üben“. Schon als VfGH-Präsidentin mied sie die Medien, wo sie nur konnte.

Diese Zurückhaltung wurde damals auch kritisiert. Bierlein pochte darauf, über kein politisches Mandat zu verfügen und daher auch keine weitreichenden politischen Entscheidungen treffen zu wollen. Diese Korrektheit und die Akzeptanz ihrer Rolle waren ein Grund dafür, dass die Übergangskanzlerin in außergewöhnlichen Umständen auf außergewöhnliche Zustimmung stieß.

Diese betonte Zurückhaltung stand in Kontrast zu ihrem öffentlichen Auftreten: Dieses war jederzeit geradezu makellos im Stil und farbenfroh in der Garderobe. Zur Eleganz gesellten sich eine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, zwei Eigenschaften, die nicht oft in den ersten Reihen von Politik und Spitzenverwaltung anzutreffen sind.

Spitzenjuristin mit Leidenschaft für Kunst

Privat zählten Kunst und Kultur zu ihren Leidenschaften: Vernissagen, Ausstellungen, Oper und Theater, wann immer es die knappe Zeit erlaubte. Ebenfalls mit Kunst, wenn auch nur indirekt, hatte ihre Rolle als Leiterin der Sonderkommission zum Skandal in der Wiener Ballettakademie zu tun. Bierlein war auch in der Unabhängigen Opferschutzkommission gegen Missbrauch und Gewalt aktiv.

Geboren wurde Bierlein 1949 als Tochter eines Beamten und einer Künstlerin. Ihr Rechtsstudium absolvierte sie in Mindeststudienzeit. Zuerst diente sie als Richterin am Bezirksgericht in Wien, Innere Stadt, dann am damaligen Strafbezirksgericht Wien, ab 1977 als Staatsanwältin, wo sie sich durchaus einen Ruf als Verfechterin von Recht und Ordnung erwarb. Die Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof war dann die nächste Station. Als Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs machte sie, die Strafrechtlerin, sich auf, die Verfassungsrechtsexperten zu dirigieren. Skepsis war ein steter Begleiter, aber nie für lange.

Ihr langjähriger Lebensgefährte, der Richter Ernest Maurer, war 2021 mit 77 Jahren verstorben. Am Montag folgte ihm nun seine Partnerin. Die gesamte Republik, vom Bundespräsidenten sowie Kanzler abwärts, und sämtliche Parteien sagten zum Abschied ein riesengroßes Dankeschön.