Sie war eine Frau der leisen Töne, jedenfalls in ihrem öffentlichen Leben. Und genauso leise und für viele überraschend ist sie nun gegangen: Am Montagnachmittag wurde bekannt, dass Brigitte Bierlein, die erste Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs und die erste Bundeskanzlerin der Republik, verstorben ist. Sie wurde 74 Jahre alt. Auf den Tag genau vor fünf Jahren wurde sie zur Regierungschefin berufen.

Bierleins Ernennung am 3. Juni 2019 zur Kanzlerin an der Spitze einer Beamtenregierung erfolgte aufgrund der Ibiza-Affäre und des erfolgreichen Misstrauensantrages gegen die Regierung von Sebastian Kurz. Sie sollte bis zu den Wahlen im September für Stabilität inmitten der politischen Krise sorgen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte nach einer Persönlichkeit von tadelloser Integrität und überparteilichem Ansehen gesucht – und diese Eigenschaften in der amtierenden Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs gefunden.

Der Stil, den Bierlein in dieser Rolle pflegte, war ungewöhnlich für alle ihre Vorgänger und Nachfolger: Bescheidenheit war ihr Programm und sich selbst nicht in den Vordergrund zu stellen, schon gar nicht gegenüber den Medien. Da war es nur konsequent, dass sie auch ihren Kabinettskollegen der Übergangsregierung den Rat gab, sich „in Bescheidenheit“ und gegenüber Journalisten „in Zurückhaltung zu üben“. Schon als VfGH-Präsidentin hat sie es bis zuletzt abgelehnt, Einladungen in die ORF-„Pressestunde“ oder in die ZiB 2 anzunehmen.

Bierlein kombinierte Zurückhaltung mit Eleganz

Diese Zurückhaltung wurde damals durchaus auch kritisiert. Bierlein pochte darauf, über kein politisches Mandat zu verfügen und deshalb auch keine weitreichenden politischen Entscheidungen treffen zu wollen. Diese Korrektheit und die Akzeptanz ihrer Rolle war wohl auch ein Grund dafür, dass die Übergangsregierung wie die Übergangskanzlerin in außergewöhnlichen Umständen auf außergewöhnliche Zustimmung stießen.

Diese Zurückhaltung kontrastierte durchaus mit ihrem öffentlichen Auftreten: Dieses war jederzeit geradezu makellos im Stil und farbenfroh in der ausgesucht eleganten Garderobe. Zur Eleganz gesellte sich eine außerordentliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, beides Eigenschaften, die man nicht oft in den ersten Reihen von Politik und Spitzenverwaltung antrifft.

Privat zählten Kunst und Kultur zu ihren Leidenschaften. Sie besuchte gerne und oft Vernissagen und Ausstellungen sowie Oper und Theater. Ebenfalls mit Kunst, wenn auch nur indirekt, hatte ihre Rolle als Leiterin der Sonderkommission zum Skandal in der Wiener Ballettakademie zu tun. Bierlein war auch in der Unabhängigen Opferschutzkommission gegen Missbrauch und Gewalt aktiv.

Geboren wurde Bierlein 1949 als Tochter eines Beamten und einer Künstlerin in Wien, wo sie nach der Schule auch ihr Rechtsstudium in Mindeststudienzeit absolvierte. Nach dem richterlichen Vorbereitungsdienst und der Richteramtsprüfung war Bierlein als Richterin zunächst am Bezirksgericht Innere Stadt in Wien und dann am damaligen Strafbezirksgericht Wien tätig. 1977 wurde sie Staatsanwältin für allgemeine und politische Strafsachen. Im Jahr 1986 wechselte Bierlein zur Oberstaatsanwaltschaft Wien. Ab 1987 war sie in der Strafrechtssektion des Justizministeriums tätig und kehrte anschließend wieder zu Oberstaatsanwaltschaft zurück. Die Generalprokuratur beim Obersten Gerichtshof war dann die nächste Station. 2001 wurde sie Präsidentin der Staatsanwältevereinigung, 2003 Vizepräsidentin des Verfassungsgerichtshofs: Sie, die Strafrechtlerin, machte sich auf, die Verfassungsrechtsexperten zu dirigieren. Sekpsis war ihr steter Begleiter. Aber es gelang ihr ebenfalls verlässlich, die Skeptiker zum Verstummen zu bringen.

Ihr langjähriger Lebensgefährte, der Richter Ernest Maurer, verstarb 2021 mit 77 Jahren.

Zahlreiche Danksagungen

Die Nachricht vom Tod Bierleins kam von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) via X. Dieser würdigte, dass Bierlein in einer schwierigen Phase Verantwortung aus Liebe zu ihrer Heimat übernommen habe: „Unser Land ist ihr zu großem Dank verpflichtet.“

Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeigte sich tief betroffen: „Sie hat in vielen Funktionen der Republik treu gedient. Als Hüterin unserer Verfassung und auch als erste Bundeskanzlerin“, betonte er: „Ich habe Brigitte Bierlein als mutige, disziplinierte Frau kennengelernt, die Verantwortung übernommen hat, als ihr Land sie gebraucht hat. Sie wird für viele Mädchen und Frauen, für uns alle, auch in Zukunft als Vorbild wirken.“

Von VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter hieß es, der Verfassungsgerichtshofs verliere eine unparteiliche ehemalige Präsidentin und einen hochgeschätzten Menschen, Österreich eine entschlossene Verfechterin des Rechtsstaats. Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker meinte, Bierlein habe Maßstäbe gesetzt und sei eine herausragende Persönlichkeit gewesen.

Seitens der Bundesregierungsmitglieder betonte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP), „eine starke Frau, eine gewichtige Stimme für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung ist heute von uns gegangen“. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) bezeichnete sie als „Pionierin“, die in unterschiedlichen Rollen Vorbild für viele Frauen gewesen sei.

Für die Grünen erklärte Klubobfrau Sigrid Maurer, Bierlein werde für sie und viele andere als „die richtige Frau zur richtigen Zeit“ in Erinnerung bleiben. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sprach von einem „traurigen Tag für Österreich“ und nannte Bierlein als erste Bundeskanzlerin „ein Vorbild für viele“. Worte der Trauer kamen auch von den Bundestheatern, fungierte sie doch auch als Aufsichtsratsvorsitzende der Holding.

Auch Clemens Jabloner, Vizekanzler und Justizminister der Regierung Bierlein, würdigte in der ZiB2 seine ehemalige Weggefährtin: „Ich wusste, dass es ihr seit einigen Wochen sehr schlecht geht. Dennoch war die Nachricht erschütternd“, so Jabloner. Es sei ein „besonders lauterer und freundlicher Mensch“ gestorben. „Brigitte Bierlein war eine der freundlichsten Menschen, denen ich je begegnen bin“. Diese Qualität habe sie auch als Kanzlerin nicht verloren. Dass die Expertenregierung unter Bierlein recht populär war, erklärt sich Jabloner damit, dass die Politik davor „tägliche Aufregung“ gesucht habe. Diese Aufregung könne sogar einen „Belästigungscharakter“ annehmen. Mit der Bierlein-Regierung wäre eine Phase der „Beruhigung“, der „Besinnung“ und der „Reparatur“ eingetreten – die Gesellschaft würde auch sehr gut ohne „Getöse“ auskommen.

Jabloner über Bierlein: Führung mit Herz und Verstand