Am Donnerstag sorgte eine Studie zu Ernährungsarmut von der Gesundheit Österreich GmbH für Schlagzeilen. Demnach seien 2023 rund zwölf Prozent der Bevölkerung von moderater und/oder schwerer Ernährungsarmut betroffen. Rund 420.000 Personen fallen sogar in die Kategorie schwere Ernährungsarmut: Diese mussten teils Mahlzeiten unfreiwillig ausfallen lassen oder hatten einen Tag lang nichts zu essen. Knapp 13 Prozent der Befragten mit Minderjährigen im Haushalt hatten in den vergangenen zwölf Monaten Sorge, dass ihre Kinder nicht ausreichend zu essen haben.
Wie passt diese Nachricht zu Studien, die Österreich als reiches Land mit sehr gut ausgebautem Sozialsystem beschreiben? Schließlich veröffentlichte der Autofahrerclub ÖAMTC am selben Tag eine Umfrage, wonach 95 Prozent heuer Sommerurlaub machen wollen. Laut Statistik Austria lag der Anteil der erheblich materiell und sozial Benachteiligten 2023 Jahr bei 3,7 Prozent oder 330.000 Menschen; rund 1,6 Millionen oder 17,7 Prozent sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Auch Hilfsorganisationen berichten von steigender Nachfrage in Sozial-Supermärkten. So gesehen liegen die Zahlen der Studie für Österreich im erwartbaren Bereich, sagt Frank Amort, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Publik Health und Professor an der FH Joanneum.
Gesellschaftspolitik im Fokus
Aber was versteht man unter Ernährungsarmut? Dabei geht es, sperrig formuliert, um die Zusammenhänge zwischen sozioökonomischer Position, Ernährung und Gesundheit. Auch der Untertitel der Studie weist auf einen breiteren Fokus: „Ernährungsarmut in Österreich als Barriere für eine gesunde und klimafreundliche Ernährung“. Als Auftraggeber fungierte das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Dieser Fokus zeigt sich auch in den Empfehlungen der Autoren, die von der Erhöhung der Ernährungskompetenz, der Einführung kostenloser Gemeinschaftsverpflegung über die Senkung der Mehrwertsteuer auf Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte und die „Förderung demokratischer Supermärkte“ bis hin zu neuen Konzepten für soziale Cafés und Restaurants reichen.
Damit wird klar, dass die Studie weit über das engere Verständnis von Armut geht, wo viele vorrangig an Hunger und Mangelernährung denken. Hier geht es um richtige und vor allem gesunde Ernährung, die noch dazu die Produktion und klimapolitischen Folgen im Auge hat. Für Hans-Peter Hutter, Public-Health-Experte der Medizin-Universität Wien, ist es wichtig, sich mit dem Thema zu befassen, weil es viel zu wenige Daten zur Ernährungslage der Bevölkerung gebe.
Falsche Ernährung führt zu Folgekosten
Aber ist Armut der richtige Begriff? „Wir müssen darüber nachdenken, was Armut bedeutet. Es geht darum, dass alle die gleichen Bilder im Kopf haben.“ Dass es nur zum Teil um Hunger gehe, macht er so deutlich: „Männer essen dreimal so viel Fleisch als gesund wäre. Das heißt nicht, dass alle vegan werden müssen, aber 20 Prozent weniger würde schon helfen.“ Auf die gesundheitlichen – und infolge sozialen wie volkswirtschaftlichen – Folgekosten falscher und ungesunder Ernährung verweist auch Joanneum-Experte Amort: Entscheidend sei, dass energiedichte, also vielfach industriell bearbeitete Lebensmittel billiger sind als gesunde – „und je ungesünder, desto billiger“. So gesehen sei Ernährungsarmut eben nicht nur ein Lifestylethema, sondern für zu handfesten Folgeproblemen bis hin zu krankhaftem Übergewicht. Der Anteil adipöser Menschen, also von Personen mit einem Bodymass-Index von über 30, stieg binnen zwanzig Jahren von 13 auf 17 Prozent, jener der Übergewichtigen (BMI 25 bis 30) blieb bei 35 Prozent stabil, der Anteil der Untergewichtigen stieg sogar leicht auf 2,7 Prozent, wobei Frauen mehr als doppelt so häufig betroffen sind.
Weil Studien im Auftrag von Politik und NGOs – in der Regel beabsichtigt – als Trägerraketen für politische Forderungen dienen, ließen die Reaktionen nicht lange warten: Es sei „nicht akzeptabel“ wenn Menschen sich nicht ausreichend und gesund ernähren könnten, sagte Sozialminister und Studien-Auftraggeber Rauch (Grüne). Die SPÖ sieht ein „Totalversagen der schwarz-grünen Regierung“ und fordert eine Kindergrundsicherung.