Verschlechterungen beim Arbeitslosengeld, wie es ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) fordert, kommen für die Caritas nicht infrage. „Bei den Ärmsten zu kürzen, kommt für uns nicht infrage“, sagte die neue Präsidentin der katholischen Hilfsorganisation, Nora Tödtling-Musenbichler im APA-Interview. Stattdessen müsste der aktuelle Satz von derzeit 55 Prozent des letzten Nettoeinkommens erhöht werden. Auch mehr Sachleistungen für Asylwerber sind für sie ein Tabu.
„Das Gebot der Stunde und mein dringender Appell an die Bundesregierung lautet: strukturelle und nachhaltige Armutsbekämpfung- und -prävention. Wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeitpunkt, um die Lücken in unserem Sozialsystem nachhaltig zu schließen“, so die Caritas-Präsidentin, die an drei Hebel ansetzen will: Die Anhebung der Ausgleichszulage, die Reform des Arbeitslosengeldes und die „längst überfällige“ Valorisierung der Notstandshilfe - und zwar nicht in Form einer Kürzung, sondern durch eine Erhöhung auf ein existenzsicherndes Niveau.
„Grundlegende Reform“ der Sozialhilfe
Ebenso dringen ist für Tödtling-Musenbichler die Reform der Sozialhilfe - „also keine kleinen Verbesserungen, sondern eine grundlegende Reform hin zu einer Mindestsicherung als letztes soziales Auffangnetz“. Diese müsse bundesländerübergreifend gleich hoch und gleich gültig sein ohne die nachteilige Anrechnung anderer Unterstützungen. Eine Kürzung, wie sie die Regierungspartei ÖVP im Zuge des Wahlkampfes vorschlägt, sei nicht automatisch ein Anreiz, um in den Arbeitsmarkt zu gehen. Auch dann nicht, wenn man - wie ebenfalls geplant - Zuverdienstmöglichkeiten streicht.
„Uns geht es darum, Menschen gut in den Arbeitsmarkt zu begleiten“, verweist Tödtling-Musenbichler auf eigene Projekte der Caritas. Dabei würden unter anderem Langzeitarbeitslose gestützt, „weil wir sehen, dass jede und jeder, dem oder der wir begegnen, auch gerne arbeiten möchte“. Teilzeit nicht entsprechend zu unterstützen, findet die Caritas-Präsidentin, deren Schwerpunkt auch der Kampf gegen Frauenarmut ist, „sehr bedenklich nicht zielführend“. Der Zugang zum Arbeitsmarkt müsse erleichtert, die strukturellen Rahmenbedingungen für Frauen verbessert werden.
„Das letzte Netz“
Ganz im Sinne ihres Vorgängers Landau plädiert auch Tödtling-Musenbichler für eine umfassende Reform der Sozialhilfe - „das letzte Netz“ für viele Menschen. Konkret fordert die Caritas-Präsidentin bundesweit geltende Mindeststandards: „Es darf jetzt keinen Unterschied machen, ob ich in Vorarlberg, in Wien bin oder in der Steiermark bin.“ Neu gestaltet werden müsse auch die Wohnbedarfsregelung. Und nicht zuletzt müsse es ein Verbot geben, dass zusätzliche Sozialleistungen angerechnet werden.
„Sehr bedenklich“ findet die Caritas-Präsidentin auch die Diskussion rund um eine „Bezahl-Card“ für Asylwerber anstelle von Geldleistungen. Schon jetzt sei vieles in der Grundversorgung durch Sachleistungen abgedeckt. Vieles - etwa Schulausflüge für Kinder oder Gebühren für Unterlagen - könnten damit nicht bezahlt werden. „Wir lehnen die Bezahlkarte ab, weil wir glauben, dass sie an der Realität vorbeigeht, es wird auch weiterhin Bargeld brauchen“, so die Caritas-Präsidentin. Auch das aktuelle „Taschengeld“ von 40 Euro täglich sei schlicht zu niedrig.
Langfristige Perspektive für Ukrainer
Im Umgang mit den Vertriebenen aus der Ukraine braucht es für Tödtling-Musenbichler neue, langfristige Perspektiven, zumal ein Ende des Krieges wohl noch lange nicht absehbar sei. „Wir plädieren dafür, dass wir ukrainische Vertriebene in andere Systeme bringen, weil die Grundversorgung sicher nicht geeignet dafür ist, langfristig darin zu bleiben. “Unser Wunsch ist, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer verlängerte Aufenthaltstitel bekommen und im Bedarfsfall über die Sozialhilfe abgesichert sind - besonders wichtig ist das für jene, die auf Grund von Alter oder Krankheit nicht erwerbstätig sein können.„
Ein weiteres wichtiges Anliegen ist der Caritas nicht zuletzt der Klimaschutz. „Wir erleben in all unseren Projekten, dass jene Menschen, die am meisten von der Krise betroffen sind, am wenigsten dazu beitragen“, so Tödtling-Musenbichler. Wichtig wären Projekte und Mittel, um vor Ort Projekte in Gang zu bringen und diese langfristig zu finanzieren. Mit Sorge betrachtet die Caritas-Präsidentin, dass beim Klimaschutz in Österreich wieder zurückgerudert werde.