Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen: Der berühmteste Satz Ludwig Wittgensteins steht für die Grenzen von Wirklichkeit und Weltwahrnehmung, umgelegt auf die SPÖ veranschaulicht er ein Dilemma, das die Partei nicht und nicht loslässt: Wie umgehen mit einer verfemten FPÖ?

Hans Peter Doskozil versteht es wie kein Zweiter, seine Parteifreunde im Handumdrehen an den Rand der Verzweiflung zu bringen – und darüber hinaus. Selbst dann, wenn der burgenländische Landeshauptmann – oder vielleicht sogar weil? – dabei nur eine simple Tatsache ausspricht. Jüngst hat es dazu nicht mehr als ein „per se“ benötigt. Im Interview stellte er kühl fest, dass der SPÖ-Wertekatalog für Koalitionspartner die FPÖ „nicht per se ausschließen“ würde.

Das reichte schon, um in und außerhalb der Partei die nächste von unendlich vielen Runden einzuläuten, die um die Haltung zur FPÖ kreisen. Dass Doskozil nicht nur ein Wiederholungs-, sondern auch ein Überzeugungstäter ist, macht die Sache aus Sicht der SPÖ und ihres Vorsitzenden Andreas Babler nicht wirklich besser. Weite Teile der Partei würden dieses Thema am liebsten ganz weit weg vergraben oder vergessen und zur Not auch einfach ignorieren.

Wäre es allein der Burgenländer, könnte man diesen noch als notorischen Quertreiber kleinreden. Doch Doskozil ist nicht allein. Den jüngsten Anlauf dazu unternahm die SPÖ Niederösterreich mit Landesgeschäftsführer Wolfgang Zwander, der sich offen für eine Zusammenarbeit mit ausdrücklich allen Parteien gezeigt hat, wenn sich so möglichst viele Ziele der Sozialdemokratie umsetzen ließen.

Das ist per se, um Doskozil zu zitieren, für fast jede Partei schlüssig, nur eben nicht für die SPÖ in Bezug auf die FPÖ. (Die Grünen haben, das nur nebenbei, andere Sorgen.) Seit Franz Vranitzky gilt in der SPÖ die Devise „keine Koalition mit der FPÖ!“. Ungeachtet aller moralischen Empörung über Jörg Haiders Hang zum Tabubruch lag darin auch eine machtpolitische Logik: Wenn eine Koalition mit der FPÖ tabuisiert ist, sichert dies der stimmenstärksten Partei – die längste Zeit war dies die SPÖ – fast automatisch die Kanzlerschaft. Es ist wenig verwunderlich, dass die ÖVP irgendwann aus dieser Doppelmühle ausbrechen würde, um das Kanzleramt für sich zurückzuerobern.

Die SPÖ benötigt eine Alternative zur Koalition mit der ÖVP

Vor dem gleichen Dilemma steht nun die Sozialdemokratie. Einerseits ist die Gegnerschaft zur FPÖ in weiten Teilen der Partei zur stärksten und oft auch letzten Klammer geworden. Jedes Rütteln daran würde daher eine nach links gerückte SPÖ – zumal in ihrer Hochburg Wien – wohl zerreißen. Andererseits muss die Partei ihren ehemaligen Wählern, die über die Jahrzehnte zur FPÖ abgewandert sind, ein inhaltliches Angebot machen. Das große Werben für eine Rückkehr zur Koalition mit der ÖVP, wie es in den letzten Wochen unter Mitwirkung von den Landeschefs in der Steiermark, Anton Lang, und Kärnten, Peter Kaiser, ausgebrochen ist, wirkt auf die Frustrierten und Unzufriedenen als pures Stimmengift. Mit dieser Analyse dürfte Doskozil wohl richtig liegen.

Doch die SPÖ ist nicht mehr stärkste Kraft und wird es, wenn die Prognosen nicht völlig trügen, auch nicht bei den kommenden Wahlen; schlimmstenfalls droht Babler sogar der Absturz auf Platz drei. In dieser Situation benötigt die SPÖ eine Alternative zu einer Koalition mit der ÖVP, will sie, wie Zwander es formulierte, möglichst viele ihrer Ziele in einer Regierung umsetzen. Weil eine Ampel aus SPÖ, Grünen und Neos weit weg von einer parlamentarischen Mehrheit sein dürfte, bleiben dafür nur die Freiheitlichen.

Kurz als Stachel im Fleisch der Nehammer-ÖVP

Die ÖVP freut sich angesichts der Malaise bei der roten Konkurrenz einen Hax‘n aus. Geteiltes Leid ist ja oft halbes Leid. Seit Neuestem versucht sie sogar jede noch so kleine Andeutung auf Rot-Blau per eigener Presseaussendung auszuschlachten. Kürzlich reichte dafür schon der Meinungskommentar einer „Falter“-Journalistin, der sich für eine Öffnung der SPÖ gegenüber der FPÖ aussprach.

Dabei leidet die ÖVP an keinem kleineren Glaubwürdigkeitsmangel. Wie die roten FPÖ-Apologeten schließt die Partei von Kanzler Karl Nehammer abwärts eine Koalition mit Herbert Kickl aus, doch eine andere FPÖ ist nicht in Sicht. Zudem hat Ex-Kanzler Sebastian Kurz eben erst dieses Manöver nonchalant konterkariert, als er in einem Interview eine Kanzlerschaft Kickls zu einer legitimen demokratischen Entscheidung erklärte, vor der er sich nicht fürchte. Die SPÖ hat es sehr gefreut.