Am 25. Februar 2020 blickte das ganze Land nach Innsbruck. Das Coronavirus hatte erstmals Österreich erreicht. Der damalige Kanzler Sebastian Kurz beruhigte: „Wir sind genau darauf vorbereitet.“ Dass dies ein Trugschluss war, haben schon frühere Aufarbeitungen vom Rechnungshof abwärts offenbart – und zeigt auch der vor Weihnachten präsentierte Coronabericht der Bundesregierung. Ein Aspekt aus dieser Analyse verdient besondere Beachtung, da er auf organisatorische und systemische Schwächen in der Politikberatung hinweist. Und die ist auch außerhalb von Krise relevant.
Leitartikel
Am guten Willen ist es in der Pandemie nicht gelegen. Nur drei Tage nach dem ersten offiziellen Coronafall tagte bereits ein interdisziplinärer Fachbeirat im Gesundheitsministerium. Auch die Bundesländer, denen die Verfassung maßgebliche Kompetenz in Gesundheitsfragen zuweist, richteten Beraterstäbe mit Forschern ein. Dabei trafen aber zwei Welten aufeinander, konstatiert Alexander Bogner von der Akademie der Wissenschaften. Er ist einer der Autoren des Coronaberichts und verantwortete das Kapitel zur Politikberatung. Politik und Wissenschaft folgen sehr unterschiedlichen Logiken und Zielen, sagt der Soziologe.
Zweiter Bericht wurde nicht präsentiert
Schon im Sommer hatte das Bundeskanzleramt zu diesem Thema eine eigene Analyse mit Erkenntnissen aus dem gesamtstaatlichen Covidgremium („Gecko“) auf seiner Website veröffentlicht, allerdings nicht präsentiert. So blieb der Bericht zu „Expertise in Krisenzeiten“ unter der Wahrnehmungsschwelle. Bogner arbeitete auch bei dieser Publikation mit.
Beide Aufarbeitungen beschreiben ein Bild wechselseitiger Überforderungen dieser „zwei Welten“. Die Politik wollte von den Experten oft konkrete Antworten, etwa zur Sperrstunde zu Silvester. Das konnten die Forscher nicht liefern. Andererseits war aber auch die Politik durch die oft vielstimmige Wissenschaft irritiert. Wie soll sie entscheiden? „Wenn wissenschaftliche Beratung direkt auf die Beantwortung politischer Fragen und die Lösung der politischen Probleme zielt, ergeben sich Schwierigkeiten“, schreibt Bogner.
Diese Schwierigkeiten traten im Laufe der Pandemie stärker zutage. „Die Einhelligkeit innerhalb der Bevölkerung löste sich langsam auf und die politischen Legitimationszwänge nahmen zu“, heißt es in der Gecko-Nachbetrachtung vom Sommer. In Argumentationsnöten verwiesen Politiker gerne auf Experten. Aus der politischen Entscheidung wird so ein alternativloser Sachzwang. Dadurch sei es zu einem „Verwischen der Grenzen zwischen Politik und Wissenschaft“ gekommen, so der Bericht.
So mancher hätte falsche Erwartungen gehabt, was Wissenschaft in Krisen leisten kann und sollte, sagt Bogner zur Kleinen Zeitung. Einige Experten seien zunehmend frustriert über das Zusammenspiel mit der Politik gewesen, andere wiederum hätten versucht, Politik mit den Mitteln der Wissenschaft zu betreiben. Auf der Gegenseite haben sich aber auch Wissenschaftler von der Politik instrumentalisiert gefühlt.
„Wissenschaftliche Erkenntnisse sollten in der politischen Kommunikation nicht dazu eingesetzt werden, politische Entscheidungen (nachträglich) zu legitimieren“, heißt es im Geckobericht. Genau dies dürfte aber passiert sein. Jedenfalls ist dies in der Wahrnehmung der Bevölkerung so angekommen, wie repräsentative Befragungen, ebenfalls aus einem der Berichte, zeigen.
Der Bericht empfiehlt eine Überbrückung zwischen den einander fremden Sphären, bleibt aber vage, wie diese aussehen soll. Eine Antwort darauf gab aber unlängst Clemens Jabloner, Vizekanzler der Beamtenregierung und ehemals hoher Beamter im Bundeskanzleramt: „Notwendig ist eine fachkundige Spitzenbürokratie“, schrieb er in der Festschrift für den Grazer Rechtsprofessor Franz Merli. Die Beamten müssen „die Pluralität wissenschaftlicher Äußerungen ordnen“ und in einen „entscheidungsfähigen Zustand“ bringen. Auch für Wolfgang Gratz, Verwaltungsexperte und Begründer der Initiative Bessere Verwaltung, ist diese Form der Übersetzung und die Politikberatung die „ureigenste Aufgabe der Verwaltung“.
Krisen-Regierungsberater soll zur „Brücke“ werden
Die Rolle der Verwaltungsspitze hat sich jedoch schleichend verändert. Gesteuert werden die Ministerien zunehmend durch die politischen Kabinette, die fachliche Beratung der Minister wird oft an externe Gremien und Kommissionen ausgelagert. Geändert hat sich aber auch, dass Spitzenbeamte heute nur mehr selten aus der Wissenschaft rekrutiert werden. „Früher waren Universitäten ein wesentliches Rekrutierungsbecken“, sagt Manfred Matzka, der viele Jahre im Bundeskanzleramt führend tätig war und zuvor Staatswissenschaft an der Uni Wien lehrte. Die Pandemie offenbarte die Schwächen dieses Systems schonungslos.
In dem im Sommer beschlossenen Krisensicherheitsgesetz wird der Punkt der Politikberatung nur gestreift, aber nicht strukturiert. Vorgesehen ist die Position eines „Regierungsberaters“, die derzeit ausgeschrieben ist. Über sie soll die im Coronabericht empfohlene „Brücke“ zwischen Politik und Wissenschaft gebaut werden, heißt es aus dem Bundeskanzleramt. Die Akademie der Wissenschaften hat ihrerseits die Lehren aus der Pandemie in ihren „Wiener Thesen“ zur wissensbasierten Beratung zusammengefasst. Darin heißt es auch: „Wissenschaft soll informieren, nicht legitimieren.“