Vier Tage, vier Nächte, dann war alles vorbei. Die 27 Staats- und Regierungschefs rauften sich beim Finanzrahmen und beim Wiederaufbaufonds zusammen. Es war die große Show der Mitgliedsländer, des Europäischen Rats. Das EU-Parlament hat bei solchen Treffen nur eine Gastrolle, das ist klar. Präsident David Sassoli hielt also zu Beginn eine Rede und verschwand dann mehr oder weniger, das Protokoll sieht das so vor. Bei der Kommission ist das anders, Präsidentin Ursula von der Leyen war ständig dabei beim Gipfel, auch den Außenbeauftragten Josep Borell sah man zuweilen.

Die Kommission, das muss man einräumen, ist die Behörde in dem Spiel, Kommissare sind eine Art Minister; der frühere Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat erst seine Kommission zu einer „politischen“ erklärt, was nicht immer glücklich endete. Von der Leyen möchte eine „geopolitische“ Kommission leiten und es ist nicht ganz klar, was sie damit meint. Am Gipfel selbst saß sie mit am Tisch, Fotos belegen das, aber das Sagen hatten die anderen. Ob Finanzrahmen oder Wiederaufbauprogramm: vorgelegt von der Kommission, zerpflückt und neu zusammengesetzt vom Rat.

Von Beginn ihrer Amtszeit an musste sich von der Leyen mit dem Vorwurf herumschlagen, sie habe ihren Job ausschließlich dem Rat zu verdanken und sei ihm auf ewig verpflichtet dafür. Tatsächlich waren es die Staatenlenker, aufgestachelt von Emmanuel Macron, die nach den Europawahlen den Spitzenkandidaten Manfred Weber eliminierten und über Nacht, zu ihrer eigenen Überraschung, die deutsche Verteidigungsministerin nominierten. Seither sind Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel auf Hunderten Fotos gemeinsam abgebildet, Hand in Hand gewissermaßen, wenn Corona nicht wäre. Hat also der Rat das Gleichgewicht der drei Institutionen  ausgehebelt und ist endgültig zum Machtzentrum geworden, mit einer schwachen Kommission am Gängelband und einem ohnmächtigen Parlament, das sich in langen, emotionalen Debatten verstrickt, am Ende aber die Entscheidungen der beiden anderen ja doch nur abnickt?

Es wäre jetzt eine gute Gelegenheit, diesen Verdacht eindrucksvoll zu widerlegen. Das beeindruckende Ergebnis des Gipfels muss zunächst einmal vom Parlament abgesegnet werden (und dann auch noch von allen nationalen Parlamenten, was den Orbans und Morawieckis und wie sie alle heißen noch einmal einen schönen Trumpf in den Ärmel spielt) und das Parlament gibt sich in der ersten Schrecksekunde kämpferisch wie lange nicht.

Heute Vormittag waren Michel und von der Leyen dort zu Gast und warben dort um Zustimmung. Schon klang alles wieder ganz anders, als zwei Tage davor. Das Parlament habe natürlich ein „volles Mitspracherecht“, erinnerte sich von der Leyen, und übte sich gleich einmal in Selbstgeißelung: Das „sehr schmale“ EU-Budget von 2021 bis 2027 sei „eine bittere Pille“, es gebe „schmerzhafte Einschnitte“, aber man sei nun bereit für einen „strukturierten Dialog“.

Den nutzte man gleich, es gab keine Wortmeldung ohne kritischen Inhalt. Das EU-Parlament macht seine Zustimmung zum Wiederaufbauplan vom Entgegenkommen des Rates bei den EU-Eigenmitteln, der Einführung eines Rechtsstaatlichkeitsmechanismus und Investmentzusagen in Zukunftsbereichen wie Klima, Digitalisierung, Gesundheit und Forschung abhängig. Den Anteil an Zuschüssen in Höhe von 390 Milliarden Euro an dem insgesamt 750 Milliarden Euro Aufbaufonds sehen die EU-Abgeordneten als zu gering an.

Heute Abend beschließen sie eine Resolution: Das EU-Parlament will die beim EU-Gipfel erzielte Einigung auf das nächste mehrjährige EU-Budget und einen schuldenfinanzierten Corona-Aufbaufonds ablehnen und Nachbesserungen fordern. Die Resolution wird von der Europäischen Volkspartei (EVP), den Sozialdemokraten, der liberalen Fraktion Renew Europa, den Grünen und Linken mitgetragen.

Was zur Frage führt: Und dann? Man wird debattieren, hier ein Schräubchen nachdrehen und dort eine Ergänzung einfügen und alles ein wenig aufhübschen, ehe der Mega-Deal im Herbst dann doch beschlossen wird. Alles andere wäre eine Sensation. Die Macht in der EU ist derzeit alles andere als ausgewogen verteilt.