Auf einer mehrstündigen internationalen Pressekonferenz in Budapest betonte Orban, die Parteienfamilie werde "immer liberaler, zentristischer". Wenn sich die EVP nicht verändere, bedürfe es einer "neuen wahren christdemokratischen Bewegung". Die Mitgliedschaft von Orbans Partei Fidesz in der christdemokratischen Parteienfamilie war im Vorjahr suspendiert worden. Ein dreiköpfiger Weisenrat, dem auch Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) angehört, soll einen Bericht ausarbeiten, der Grundlage für eine Entscheidung über die Zukunft von Fidesz in der EVP bilden soll.

Die EVP in ihrer gegenwärtigen Form interessiere Fidesz nicht, so dass Veränderungen in der Parteienfamilie notwendig seien. Orban würde nach neuen Partnern suchen und erinnerte an seinen jüngsten Besuch in Polen, wo die zur Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR/EKR) gehörende nationalkonservative Regierungspartei PiS als Bündnispartner infrage komme. Kenntnisse über einen Bericht der drei "Weisen" hinsichtlich der Zukunft von Fidesz in der EVP hat der Premier nach eigener Aussage nicht.

Auf die Frage, ob sich Orban in Ungarn eine konservativ-grüne Koalition wie in Österreich vorstellen könne, betonte der Premier: Nichts könne ausgeschlossen werden, "nur würde nicht ich eine solche anführen". In seiner Begründung bezeichnete Orban die grünen Bewegungen in Ungarn als "Wassermelonen": "außen grün und innen rot."

Gleichzeitig hatte Orban durchaus lobende Worte für Österreichs Kanzler: Sebastian Kurz (ÖVP) überrasche die Welt ständig, würde eine bravouröse Tat nach der anderen folgen lassen. Kurz habe eine Koalition mit der FPÖ geschlossen, was "nicht ohne" gewesen sei, und diese überlebt. Dann habe der Zusammenbruch der FPÖ Kurz nicht hinweggefegt, vielmehr habe er die Wahlen gewonnen, wobei die Koalition mit den Grünen eine neue bravouröse Tat sei. Laut Orban sei nicht auszuschließen, dass Türkis-Grün funktionieren werde. Mut, Initiative, Bereitschaft und das Experimentieren in Österreich seien laut Orban ein ausgesprochen inspirierendes Beispiel. "Uns Ungarn imponiert der österreichische Mut." Österreich könnte mit seiner Kombination auch als Laboratorium für größere Staaten dienen.

Orban betonte auf der Pressekonferenz erneut die Gefahren der Migration, deren Druck sich enorm an der ungarisch-serbischen Grenze erhöht habe. Deswegen werde die Zahl der dort dienenden Soldaten und Polizisten erhöht. Die Versuche des illegalen Grenzübertrittes lägen hier täglich bei über Hundert.

Auf die Frage, ob der seit 2010 ununterbrochen regierende Orban bei den Parlamentswahlen 2022 erneut als Kandidat für den Posten des Premiers zur Verfügung stehen würde, sagte er: Obwohl Fidesz noch keine Entscheidung über die Kandidatur getroffen habe, stehe er bereit.

Zuvor hatten ungarischen Medien berichtet, dass der Austritt der Fidesz aus der EVP bevorstehe. Die EVP hätte bisher nur Unentschlossenheit demonstriert, nicht klar deklariert, ob sie Fidesz weiter in der EVP-Fraktion sehe. Die Mitgliedschaft von Fidesz war im März 2019 suspendiert worden wegen des Anti-EU-Kurses von Orban. Bis Ende Jänner soll über den möglichen Ausschluss von Fidesz aus der EVP entschieden werden.