Aus Sicht des früheren Brexit-Ministers David Davis ist der von Premierministerin Theresa May ausgehandelte Deal womöglich akzeptabel. Alles hängt jetzt von Geoffrey Cox ab: Der juristische Berater der britischen Regierung sollte eine Empfehlung aussprechen, den Deal anzunehmen - oder eben nicht. Es wurde ein eben nicht: Die juristischen Risken seien nicht ausgeräumt, so Cox. Das Land hätte keine rechtliche Handhabe, um einen Ausstieg aus der Übergangsregelung für die irische Grenze zu erzwingen.

Ein Ja des Parlaments bei der heutigen Abstimmung ist daher ausgeschlossen. Eine knappe Niederlage könnte May zumindest die Möglichkeit für eine Verschiebung öffnen. Bei einer kapitalen Niederlage droht sie selbst endgültig zu stürzen. Die Augen ganz Europas sind heute auf Westminster gerichtet.

Rund um Mitternacht, in der Nacht vor der nächsten Abstimmung im britischen Parlament, stieg weißer Rauch auf aus jenen Gemäuern, in denen die britische Premierministerin Theresa May und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker verzweifelt um einen Text rangen, der den Weg frei machen kann für das Brexit-Abkommen.

Ein drittes Mal wird es keine Zugeständnisse geben, stellte Juncker klar. Und May hofft auf ein Ja des Parlaments. Entscheidend für einen Erfolg bei der Abstimmung dürfte sein, ob der britische Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox in einem Rechtsgutachten seine ursprüngliche Bewertung des Abkommens nun ändert. Cox hatte im Dezember befunden, dass Großbritannien durch die sogenannte Backstop-Regelung dauerhaft gegen seinen Willen an die EU gebunden bleiben könnte. Sollte er diese Einschätzung nun ändern, dürften viele Brexit-Hardliner in der Konservativen Partei ihren Widerstand gegen den Deal aufgeben. 

Großbritannien könne nach zwei Jahren, Ende 2020, von sich aus aus dem Brexit-Vertrag aussteigen, hatte May den Abgeordneten in Aussicht gestellt. Die EU sei bereit, dafür rechtliche Garantien zu geben.

Im Detail liest sich die mitternächtliche Vereinbarung ein wenig komplizierter:

  • Der Ausstieg ist nur möglich, wenn die EU mit unlauteren Absichten am Backstop, also den offenen Grenzen zwischen Nordirland und der Republik Irland festhält.
  • Dies hätte ein Schiedsgericht festzustellen.
  • Voraussetzung ist außerdem, dass es eine neue Regelung dafür gibt, wie diese offenen Grenzen erhalten bleiben können.

Diese offenen Grenzen wurden Irland im Zuge des Nordirland-Friedensvertrages 1998 zugesichert. Man fürchtet, dass bei einer Verletzung dieses Vertrages die Unruhen zwischen nordirischen Protestanten und irischen Katholiken neu aufleben könnten.

Irland ist an Bord

Der irische Staatschef Leo Varadkar war bei den Verhandlungen an Bord. Er wollte eigentlich in die USA fliegen und wurde extra zurückgeholt zu einer Notfallsitzung. Irland ist demnach mit der Textierung einverstanden. Varadkar hofft, dass das britische Unterhaus dem Austrittsabkommen nun bei der Abstimmung am Abend seine Unterstützung gebe. "Der Brexit ist für viele Monate eine dunkle Wolke über uns gewesen, besonders die Bedrohung eines No Deals", sagte Varadkar. "Ein positives Votum heute Abend kann diese Wolke beseitigen und das Vertrauen und den Optimismus in Großbritannien, Irland und die Europäische Union wiederherstellen."

Die Einigungen zwischen Juncker und May seien eine Ergänzung des bereits ausgehandelten Austrittsabkommens und der politischen Erklärung, stellte Varadkar klar. Dies habe "zusätzliche Klarheit, Rückversicherung und Garantien" geschaffen, um Ängsten und Sorgen beim Backstop zu begegnen. Es stehe zwar außer Frage, dass der Backstop an der irisch-nordirischen Grenze gelten werde, bis man sich auf eine bessere Vereinbarung verständigt habe. Das Ziel sei es aber ganz klar nicht, Großbritannien in diesem System gefangen zu halten.

Angst vor der Falle

Anders viele Abgeordnete: Labour-Chef Jeremy Corbyn kündigte bereits an, auch diese Lösung nicht akzeptieren zu können. Man fürchtet, dass die neue Lösung wieder nur ein "Schönreden" des alten Zustands ist, eine Falle, in die man nicht hineintappen will. Abgeordnete in Westminster warnen vor einer Zweiteilung des Königreichs, falls der Backstop greifen sollte und Nordirland damit stärker an die EU gebunden würde als der Rest Großbritanniens. Die britische Regierung beharrte auf eine zeitliche Befristung, was die EU bisher ablehnte. 

Was passiert, wenn das britische Parlament auch diese Formulierung ablehnt? Juncker macht neuerlich Druck und erklärt, für ihn sei klar, dass auch eine Fristverlängerung nur bis 23. Mai gelten könne, dem Tag, an dem die EU-Wahlen beginnen. Bis dahin müssten die Briten die EU verlassen haben, und sei es mit dem von allen gefürchteten Hard Brexit.

Keine Wahlen vorerst für die Briten

Im Hintergrund wird allerdings auch für diesen Fall noch an einem Alternativszenario gebastelt. Wenn die Briten sich bis Ende Mai nicht entscheiden, sollen sie keinesfalls an den Wahlen teilnehmen, sind auch gar nicht darauf vorbereitet. Sollte es jedoch später zu einem zweiten Referendum, also doch noch zu einer Willensäußerung für den Verbleib in der EU kommen, dann könnten die Briten entweder gesondert eine Nach-Wahl vornehmen oder aber gewählte britische Abgeordnete ins EU-Parlament entsenden.