Inmitten des Chaos rund um den Brexit kommt John Bercow eine zentrale Rolle zu: Am Dienstag wollten die Abgeordneten des Unterhauses mit verschiedenen Änderungsanträgen erreichen, dass entweder ein neuer Plan vorgelegt, der Brexit verschoben oder ein neues Referendum angesetzt wird. Parlamentspräsident John Bercow hatte zu entscheiden, über welche Anträge letztendlich abgestimmt wird.
Der 56-Jährige ist dafür bekannt, Abgeordnete bei hitzigen Debatten mit einem bellenden "Ordnung! Ordnung!" zu ermahnen und Minister zu schelten. Zum Unmut der Regierung hat er in der Vergangenheit gezeigt, dass er geltende Regeln schon mal in der Luft zerreißt, damit das Parlament mitreden kann. Auch traditionelle Kleiderordnungen wie die Perücke hat Bercow abgeschafft; im Juni 2017 erlaubte er den Abgeordneten, ohne Krawatte zu erscheinen.
Als Kind ein Tennisstar
Geboren wurde Bercow am 19. Jänner 1963, er wuchs im Norden Londons in bescheidenen Verhältnissen auf. Sein Vater war Taxifahrer. Bercow war als Kind ein Tennisstar, was zu einer dauerhaften Liebe zum Sport führte. An der Universität begann Bercow sich politisch zu engagieren, nach einer Beratertätigkeit im Stadtrat wurde er 1997 Abgeordneter der Konservativen im Unterhaus. Zwölf Jahre später wurde er mit 46 Jahren zum jüngsten Parlamentspräsidenten seit hundert Jahren - ein Amt, das eigentlich politische Neutralität verlangt.
Wegen seines Mitmischens in den Brexit-Debatten werfen ihm seine früheren Kollegen aber vor, voreingenommen sowohl gegen die Regierung als auch gegen den Brexit selbst zu sein. Aus den Reihen der oppositionellen Labour-Partei hingegen erhält er breite Unterstützung.
Dompteur der Regierung
Mit seinem Vorgehen, beim Brexit den Handlungsspielraum der Regierung zum Vorteil des Parlaments entgegen geltender Regeln einzuschränken, hat er sich den Ärger konservativer Abgeordneter und Minister eingehandelt. "Der Schiedsrichter in unseren Angelegenheiten ist nicht mehr neutral", kritisierte ein konservativer Parlamentarier. "Wenn wir uns immer nur von Dagewesenem leiten ließen, würde sich in unseren Abläufen niemals etwas ändern", gab Bercow zurück.
Ein anderer Abgeordneter kritisierte Bercow wegen eines in seinem Auto gesichteten Aufklebers mit der Aufschrift "Brexit-Mist". Der 1,68 Meter große Parlamentspräsident, der auch schon als "dummer, scheinheiliger Zwerg" tituliert wurde, gab kurz und bündig zurück, das Auto gehöre seiner Frau, die "ein Recht auf eigene Ansichten" habe.
"Meine Frau gehört mir nicht"
Auch seine Frau Sally sorgte schon für Schlagzeilen, die meist aber eher nicht politischer Natur waren: So posierte sie lediglich mit einem weißen Tuch bekleidet für eine Zeitschrift, nahm an einer Reality-TV-Show teil und führte eine Beziehung mit dem Cousin ihres Mannes. 2010 dann trat sie bei einer Kommunalwahl für die Labour-Partei an, dem wichtigsten politischen Gegengewicht zu der Partei, der ihr Mann angehört. Dieser sagte dazu: "Meine Frau gehört mir nicht, das ist nur meine Frau."
Vor Beginn des jüngsten Brexit-Chaos' hatte Bercow viele Konservative auch mit seiner eindeutigen Weigerung verärgert, US-Präsident Donald Trump vor dem Parlament sprechen zu lassen.
Eigentlich soll Bercow im Sommer in den Ruhestand gehen, doch gibt es Gerüchte, er könnte während des Brexit-Prozesses an Bord bleiben. Angesichts der Unterstützung durch die Opposition können die Konservativen nur wenig dagegen tun. Allerdings kursieren bereits Berichte, wonach Letztere ihm den traditionell im Oberhaus vorgesehenen Sitz zur Strafe verweigern könnten.