1 Was passiert gerade im britischen Unterhaus?
Am Mittwoch hat das Parlament die im Dezember abgebrochene Debatte über den Brexit wieder aufgenommen. Den ersten Aufmarsch brach Theresa May im Dezember, aus Angst vor einer Niederlage, jäh ab. Über ihren Deal mit der EU entscheiden soll das Unterhaus am Dienstag. Nach der jüngsten Erfahrung schließt zwar niemand aus, dass der Termin erneut verschoben werden könnte. Die Premierministerin besteht aber darauf, dass es diesmal zur Abstimmung kommt.
2 Was hat sich seit Dezember verändert?
Gehofft hatte May darauf, dass die EU ihr eine diplomatische Brücke bauen würde – und dass genügend Abgeordnete sich über Weihnachten besinnen. Dafür gibt es aber wenig Anzeichen. Nordirlands Unionisten sträuben sich weiter gegen jede künftige Form administrativer Kontrollen zwischen der Provinz und Großbritannien. Konservative Brexit-Hardliner wollen keinen unbefristeten Verbleib ihres Landes in der Zollunion der EU tolerieren. Und die Opposition sieht nur Nachteile im Deal.
3 Wie ist Mays Strategie in dieser Situation?
Sie versucht, ihre Kritiker von zwei Seiten unter Druck zu setzen. Moderate Tories und Pro-Europäer sucht sie mit der Aussicht zu schrecken, dass das Land auf einen Brexit ohne Vereinbarung (No-Deal-Brexit) zudriftet, falls sie nicht einlenken. Umgekehrt warnt sie Hardliner, ihre Kompromisslosigkeit könne dazu führen, dass es zu überhaupt keinem Brexit komme: falls ein zweites Referendum den Beschluss von 2016 rückgängig machen würde.
4 Kann sie sich Hilfe aus Brüssel erhoffen?
Die EU hat deutlich gemacht, dass der Austrittsvertrag nicht mehr zu ändern ist – allenfalls könne es „Interpretationshilfe“ geben. May glaubt unterdessen, dass sich bei der separaten (und rechtlich unverbindlichen) Deklaration über das künftige Verhältnis zur Union noch etwas machen lässt.
5 Was hängt an der Abstimmung?
Sollte sich May bei der Abstimmung wider Erwarten durchsetzen, würde Großbritannien in der Nacht auf den 30. März die EU verlassen – zu den Bedingungen, die ausgehandelt wurden. Verliert sie, ist sie verpflichtet, eilig ihr Vorgehen zu erklären. Es könnte eine zweite Abstimmung geben. Offenbar spekuliert May darauf, dass die EU in letzter Minute Kompromisse anbietet, in Panik geratene Abgeordnete es sich überlegen und sie die „zweite Runde“ gewinnt.
6 Was sind mögliche Alternativen?
Sollte May die zweite Abstimmung verlieren oder bei der ersten ein Desaster erleiden, könnte sie versuchen, sich über Neuwahlen einen neuen „Wählerauftrag“ zu verschaffen. Diese könnten, wenn sie das Unterhaus billigt, binnen fünf Wochen stattfinden. Die oppositionelle Labour Party will einen Misstrauensantrag gegen die Regierung einbringen, sobald der Deal durchfällt.
7 Könnte es ein neues Referendum geben?
Immer mehr Politiker verlangen ein zweites Referendum zur Frage, ob die Briten nach allem, was nun bekannt ist, noch immer aus der EU hinauswollen. Noch radikaler wäre eine formelle Rücknahme der Austrittserklärung vom März 2017, mit der der Brexit durch einen einzigen Federstrich abgeblasen werden könnte. May ist gegen beides. Sie besteht darauf, dass „der Wählerwille von 2016 respektiert werden muss“.
8 Könnte May stürzen oder abtreten?
Natürlich könnte May alle Welt am 15. Jänner mit einem Rücktritt überraschen: Vor allem, wenn sie sich eine vernichtende Niederlage einhandeln sollte. Oder ihr Kabinett könnte sie stürzen. Die Konservativen wären dann, möglicherweise wochenlang, mit der Vorsitz-Neuwahl beschäftigt. In diesem Fall, aber auch im Falle eines neuen Referendums oder neuer Parlamentswahlen, müsste London die EU um Aufschub bitten.
9 Lässt sich eine Katastrophe verhindern?
Sollte sich das Unterhaus auf nichts verständigen, würde das Vereinigte Königreich automatisch vertragslos austreten. Das wäre das Szenarium, auf das Hardliner hoffen. 200 Abgeordnete aller Parteien, die davon eine wirtschaftliche und soziale Katastrophe befürchten, haben May aufgefordert, diese Möglichkeit auszuschließen. Sie planen diverse parlamentarische Manöver.